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Österreich-Ungarn spielen
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von Rich Amada

ÜBERSETZT VON WALTER HENKE
 

1. Was soll der arme Erzherzog machen?

Das Schicksal hat das Kaiserreich Österreich-Ungarn Ihrem Oberbefehl anvertraut, doch sie schütteln nur verzweifelt den Kopf und murmeln vor sich hin: "Ich bin verloren!"

Nun, dieses Urteil ist vielleicht ein wenig überzogen, doch ist die Enttäuschung über die Zulosung Österreichs keine ungewöhnliche Reaktion in diesem Spiel. Ich kann mich an einige gleichaltrige Freunde erinnern, die Face-to-Face-Spiele ablehnten, wenn sie Österreich übernehmen mußten. Ich würde sagen: Mehr als alle anderen Großmächte auf dem Brett ist Österreich auf eine gute Imagekampagne angewiesen.

In mancherlei Hinsicht ist diese "Austrophobie" verständlich. Statistisch gesprochen hat Österreich eine hohe Sterblichkeitsrate, und die Diplomacy-Geschichte ist mit leblosen Körpern von Erzherzögen gepflastert, die, kaum daß sie die Startlöcher verlassen hatten, auch schon überfahren wurden. Doch zugleich weist die Statistik Österreich als eines der Länder mit der höchsten Gewinnrate aus. Und das ist, so denke ich, dem Umstand geschuldet, daß, sobald Österreich Fahrt aufgenommen hat, seine Aussichten wirklich nicht schlecht sind.

2. Mein Freund

Naturgemäß besteht der offensichtlichste Nachteil Österreichs in seiner Lage - eine Spur rechts von der Brettmitte. Es ist sehr schwierig, neutral zu bleiben und lieb Kind zu spielen, wenn aus der Sicht der Nachbarn durch das eigene Gebiet die Schlüsselwege laufen. Somit hat der österreichische Diplomat reichlich Gelegenheit zu zeigen, was er kann.

Ich sehe es jedenfalls so, daß das, was Österreich geographisch Nachteile bringt, ihm andererseits hilft, sich zu Beginn in Diplomatie zu üben. Die auffällige Verletzlichkeit Österreichs kann es als das harmloseste Land erscheinen lassen und daher in der ersten Verhandlungsrunde zu einem begehrten Bündnispartner machen. Nachbar Italien kann in der Regel jeden österreichischen Überraschungsangriff zurückschlagen. Die Türkei ist auf dem Balkan beschäftigt. Deutschland kann Österreich im ersten Zug am ehesten zu schaffen machen, wenn es es durch die Stationierung einer Armee in Tirol verunsichert (ein seltener Aufenthaltsort für eine österreichische Armee im Herbst 1901). Und Rußland, das von einem feindseligen Österreich vielleicht am meisten zu befürchten hätte, riskiert wenig mehr als ein Scheitern der Eroberung Rumäniens, wofür Österreich aber in der Regel türkische Mitarbeit benötigt. Und in diesem Fall erscheint in den Augen des Zaren die Türkei mit ihrer Hintertür nach Sewastopol unter Umständen als der gefährlichere Nachbar.

Wenn Sie zusätzlich in den Blick nehmen, was alle Nachbarn wissen: nämlich daß wenn Österreich nicht bald ein Bündnis schließt, es nicht lange zu leben hat, so erhalten Sie ein Land, daß manchem fremden Herrscher hervorragend in die eigenen Pläne paßt. Schon bald flattern Angebote ins Haus: "Zieh' mit mir, mein Freund! Zusammen schaffen wir's!" [Amada verwendet im englischen Text an Stelle von "mein Freund" die Wendung "pal o' mine" - "mein Kumpel". Es ist die Art von Floskeln, die die Fernsehfigur Ralph Kramden in der US-Fernsehserie "The Honeymooners" ("Die Hochzeitsreisenden") seinem Freund Norton gegenüber gewöhnlich dann verwendete, wenn er offensichtlich nicht Nortons Wohl im Auge hatte. Der kluge Erzherzog muß alle Bündnisangebote sorgfältig abwägen. Da die Türkei mit Sicherheit Bulgarien besetzt, ist die Wahrscheinlichkeit, daß einige dieser "Kumpel" nichts Gutes im Schilde führen, groß.]

Ich würde Ihnen empfehlen, jedem potentiellen Verbündeten etwas anzubieten, daß Ihre Freundschaft viel wertvoller erscheinen läßt als die verlockende Aussicht auf kurzfristige Vorteile. Wenn er etwas vorschlägt, daß sich wie ein fairer Plan anhört, unterstützen Sie ihn. Wenn er keinen bestimmten Plan hat, bieten Sie ihm einen an, in dem beide Seiten auf lange Zeit quitt bleiben. Vage, unpräzise Bündnisangebote sind für die akzeptabel, die es sich erlauben können, über mehrere Züge am Brettrand zuzuschauen. Doch für Österreich - es sei denn, es hat Fortuna auf seiner Seite - könnten einige Züge auch schon die Zeitspanne sein, die es ohne klaren Plan überlebt.

3. Erster Halt: Serbien

Auf dem Weg zum Ruhm ist Armee Bud-Ser häufiger als alle anderen ersten Züge. Serbien ist das am leichtesten zu erbeutende und von niemandem streitig gemachte Versorgungszentrum innerhalb der Ausgangsreichweite, und seine zentrale Lage (es grenzt an 5 VZ und ist für herumstreunende Flotten unerreichbar) macht es für die Unterstützung weiterer Aktionen auf dem heiß umkämpften Balkan besonders geeignet. Daneben gibt es als starken antirussischen Zug Armee Bud-Rum, doch sollten Sie sich zuvor des türkischen Wohlwollens versichern, wenn Sie im Herbst nicht in ernste Schwierigkeiten geraten wollen.

Was die Flotte in Triest angeht, gibt es keinerlei Grund, sie woanders hinzuziehen als nach Albanien - es sei denn, Sie wollen ohne Verzug Italien angreifen. Dies erlaubt Ihnen die Invasion Griechenlands oder bringt es zumindest in Reichweite Ihrer Flotte.

Die Armee in Wien wird als die "Lackmus"-Einheit angesehen. Der erste Zug dieser Einheit bestimmt, wie der Rest Europas Österreich beurteilt. Zieht sie nach Triest oder Tirol, zeigen Sie damit Ihr Mißtrauen gegenüber Italien. Marschiert sie nach Galizien oder Budapest, klingelt in Moskau das rote Telefon. Wenn Sie Verdacht gegen jemanden hegen, aber ihn nicht unnötig gegen sich aufbringen wollen, dann könnte ein abgesprochenes Patt unter Beteiligung der Armee Wien klug sein. Diese Strategie ist nicht so aggressiv, doch im Frühling 1901 wird die Armee Wien für gewöhnlich trotzdem als defensive Einheit angesehen.

Falls Sie nicht einen gemeinsam ausgeheckten und ins Werk gesetzten Plan haben, würde ich Ihnen raten, in zwei Gebieten keine fremden Einheiten zu dulden: Galizien und Tirol. Beide grenzen an zwei österreichische VZ, und eine feindliche Einheit in einem davon kann eine empfindliche Bresche in die österreichischen Pläne schlagen, z.B. durch den nötigen eiligen Abzug von Einheiten. Da beide Gebiete technisch gesehen innerhalb der nationalen Grenzen dessen liegen, was auf der Karte Österreich-Ungarn heißt, gibt es genug formelle Gründe, um gegen jedes Eindringen in diese beiden Gebiete Protest einzulegen.

4. Ein Boot, ein Boot, ein Königreich für ein Boot!

Um einen Witz aus dem Repertoire des Komikers Jackie Mason frei wiederzugeben: Es gibt auf der Welt keinen größeren Deppen als einen Österreicher in einem Boot. Zumindest was das Spiel Diplomacy betrifft, stimmt das auch, wenigstens in den ersten Zügen. Der Grund hierfür ist mehr als offensichtlich. Österreich ist die einzige Großmacht mit nur einem Küsten-Versorgungszentrum, und dieses liegt auch noch so hoch an der Adria, daß man mindestens zwei Züge braucht, um eine Flotte dorthin zu bekommen, wo sie auch etwas nützt. Daher erscheint ein großangelegter Seefeldzug in den ersten Jahren des Spiels ziemlich sinnlos. (Selbst wenn Sie sich mit einer der beiden typischen Mittelmeer-Seemächte - Italien oder der Türkei - anlegen, werden Sie wahrscheinlich mit der anderen verbündet sein, und diese wird auf einer Vormachtstellung zur See bestehen, und Ihnen das Gleiche zu Land zugestehen.)

Dies scheint vielleicht ein höchst unangenehmes Hindernis für Ihre Expansion zu sein (was es auch ist), doch bietet der Mangel an eigenen Küsten meiner Ansicht nach auch Vorteile. Armeen allein können nicht immer ohne Unterstützung zur See eine Pattlinie durchbrechen. In diesem Fall gibt es nur soviel Unterstützung zur See, wie der Feind um das österreichische Territorium herum in Stellung bringen kann - und somit nur um Triest herum. Außerdem ist es für den Feind nicht leichter, in diese unzugängliche Region hineinzukommen, als für österreichische Flotten heraus. In diesem Sinne ist Österreich vor Kanonenbootüberfällen ein wenig mehr geschützt als andere Länder. (Überlegen Sie sich nur, wie beschäftigend nur eine italienische Flotte im östlichen Mittelmeer für die Türkei sein kann.)

5. Willkommen, Paisano

Österreich und Italien sind die einzigen Mächte auf dem Brett mit benachbarten Versorgungszentren. Das bedeutet, daß es zwischen diesen beiden Ländern von Anfang an Reibungspunkte gibt. Trotzdem ist es vor allem am Anfang für beide eine gute Idee, sich zu verbünden. Es ist communis opinio (die ich nicht anzweifle), daß beide Länder zusammen viel mehr erreichen können als gegeneinander. Der Flaschenhals Tirol-Venedig kann extrem schnell verstopft werden, und dann verbrauchen beide Länder das Gros ihrer Ressourcen für die Aufrechterhaltung einer Pattlinie.

Wenn Italien und Österreich früh gegeneinander Krieg führen, ist hierfür meist ein ehrgeiziges Italien die Ursache, das auf eine glückliche Eingebung hofft. Der Mangel dieser Strategie liegt darin, daß Italien von einem geschwächten Österreich weniger profitiert als Rußland und die Türkei; eine russisch-türkische Allianz würde wahrscheinlich den größten Teil der Versorgungszentren verschlingen, bevor Italien genug Einheiten entlang der Adria postieren und die Situation unter seine Kontrolle bringen kann. Wenn Sie mit Österreich spielen, kann es kaum Schaden, diese Folgen einem sich offen feindselig gebärdenden Italien aufzuzeigen.

6. Kein Hänfling mehr

Wenn Sie als Österreicher von Ihren diplomatischen Fähigkeiten erfolgreich Gebrauch gemacht, einige nützliche Bündnisse geschmiedet und auf dem Weg zum Mittelspiel manches VZ eingesteckt haben, werden Sie eine wundersame Veränderung innerhalb Ihres Landes feststellen. Meine Beobachtung ist, daß sobald Österreich die Stärke von sechs oder sieben VZ erlangt hat, es von keinem plündernden Raufbold mehr als leichtes Ziel angesehen wird. Tatsächlich wird Österreich aufgrund seiner meist "ländlichen" militärischen Problemgebiete häufig zur stärksten Landmacht auf dem Brett. Diese Binnenstärke und das das Kernland umgebende Polster "neutraler Zonen" (Tirol, Böhmen, Galizien) machen es Österreich möglich, seine Grenzen mit verhältnismäßig wenigen Defensiveinheiten zu verteidigen, während seine offensiven Einheiten einen beträchtlichen Aktionsradius haben. Sobald also Österreich dem unbeholfenen Kindesalter entwachsen ist, verwandelt es sich in eine Macht, mit der zu rechnen ist.

An diesem Punkt dürfen Sie ein wenig mit den Muskeln spielen, kleinere Mächte drängen oder unter Druck setzen. Jedoch wird der kluge Erzherzog noch immer vorsichtig und nicht zu gierig sein, denn Sie wollen es ja nicht zu einer breiten Widerstandsfront gegen sich kommen lassen. (Denken Sie daran, daß Sie noch immer eine Mittelmacht sind und nicht in einen Zweifrontenkrieg schlittern wollen.)

Nun einige Dinge, an die man im Mittelspiel denken muß...

Wenn entweder Italien oder die Türkei kampfunfähig (nicht unbedingt ausgelöscht) ist, haben Sie ein Auge auf die andere Macht. Es ist für sie der geeignetste Zeitpunkt, Österreich in den Rücken zu fallen.

Achten Sie darauf, daß Ihre Einheiten nicht derart aufgestellt sind, daß sie einem Verbündeten alle Wege zur Expansion abschneiden. Denn das ist auch eine Möglichkeit, sich zwischen allen Stühlen zu setzen. Wenn das geschieht, ist es besser, ein paar Gebiete preiszugeben, um die Linien zu öffnen.

Sobald die Schlacht um den Balkan entschieden ist, versuchen Sie, alle Einheiten aus dieser Region abzuziehen. Je weniger Österreich sich um seinen Unterleib sorgen muß, desto mehr kann es sich auf neue Herausforderungen einlassen.

7. Schnitzel überall!

Sie haben es also bis ins Endspiel geschafft und wollen allein aufs Podest, was? Nun, wenn Sie sich nicht bereits im Krieg mit Italien befinden (und Italien nicht schon geschlagen oder zur Kapitulation gezwungen wurde), so stehen jetzt die Zeichen auf Sturm. Und das bedeutet, daß Sie Flotten brauchen, für den Anfang wenigstens in der Adria. Natürlich verrät allein schon der Aufbau einer Flotte in Triest dem Italiener, daß Sie jetzt eine Gondelfahrt in Venedig planen. Je unauffälliger Sie das also über die Bühne ziehen, desto besser.

Deutschland, während des Spiels oft Österreichs bester "neutraler" Freund, wird auch nicht untätig bleiben, nicht, wenn es es noch gibt. Und so ist es lebenswichtig für Österreich, Tirol und Galizien unter seine Kontrolle zu bringen. Der Verlust eines der beiden Gebiete an eine feindliche Macht im Norden wird Ihren Expansionsplänen ein jähes Ende bereiten.

England und Frankreich, die zuvor mit Österreich nicht viel zu schaffen hatten, können zum Haupthindernis in den russischen und Mittelmeergebieten werden (zumindest dann, wenn England und Frankreich erfolgreich zusammengearbeitet haben). Es ist unwahrscheinlich, daß es Österreich gelingt, diese Mächte zur See zu schlagen. Seine größte Hoffnung ist für Österreich daher ein kraftvoller Vorstoß durch Mitteleuropa und Piemont (wenn Sie bis Italien durchgebrochen sind).

Rußland und die Türkei, wenn einer von beiden noch lebt - und da Sie einen Einzelsieg planen, gehe ich gehe davon aus, daß wenigstens einer verschwunden ist -, müssen neutralisiert werden, oder Österreich findet sich in einem Zweifrotenkrieg wieder (und genau das wollten Sie ja die ganze Zeit vermeiden!).

Und wenn Sie all das beachten, dürfen Sie dann garantiert in wenigstens 18 Versorgungszentren Europas Wiener Schnitzel servieren? Äh... na-ja, also... nein. Das ist Diplomacy, es gibt so viele Unwägbarkeiten und keine Garantien. Und außerdem ist alles, was hier steht, nur die auf Beobachtung gegründete Meinung eines Spielers. Ob daher irgendeiner von meinen Ratschlägen für künftige Erzherzöge von Wert ist, sei dem persönlichen Geschmack und Spielstil anheimgestellt. Wie auch immer: Viel Glück und heitere Diplomatie.

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