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Die Sache mit dem Kamel und dem Nadelöhr Wie können unterschiedliche Varianten bepunktet werden? Gibt es ein gerechtes System? Dieser Friss-oder-stirb-Frage gehen wir auf den Grund und steuern ein 10-Punkte-Programm für weitere Inspirationen bei.
Es war eine Woche der Zeitenwende, die die Ludogemeinde soeben durchlebt hatte. Von nur relativer Wichtigkeit war der Epochenwechsel, der den Ludomitgliedern mit der Abwahl der regierenden Partei im Ländle und ihrem Lied „Schaffe, schaffe, Bahnhöfle bauele" widerfuhr. Kaum mehr wichtig erschien den Ludisten auch die Befürchtung, ob mit der Entsorgung der Westerwelle die Kernspaltung der Partei verhindert, nicht zugleich aber auch die Reststrahlung der Partei beseitigt würde. Und auch kaum niemanden berührte die Frage, ob die Freischärler in Lib (in der Variante Modern) nun mit Waffen versorgt werden sollen und/oder ob man dazu auch wieder einen Enthaltungsbeschluss auf höchster Ebene benötigte. Nein, für unsere Ludofreaks war das alles nicht wirklich wichtig.
Unsere Ludogemeinde interessiert zur Zeit nur eines: wie können punktegeile Variantenfanatiker gerechte Bewertungen für ihre Platzierung in hanebüchenen Dipweiterentwicklungen erhalten!
Dies ist nun wirklich eine Zeitenwende in der Ludomanieepoche, und jeder Ludofetischist spürte das. Hatte man jemals zuvor Varianten so ernst genommen? Ih wo! Hatte man Varianten überhaupt vorher wahrgenommen? Jain! Da musste man selbst bei den Anmeldungen um einiges häufiger klicken, um dorthin zu gelangen. Und wehe, ein Variantenspieler stieg aus! Das ist mit die größte Neurose, die einem Spielleiter widerfahren kann, weshalb man dieser Frage auch stets mit Kompromissen begegnet. Ach bitte spiel weiter, wir vergeben auch keine NMR. Oder eine Einlassung wie „der ausgestiegene kann sein Guthaben auf einen anderen Spieler übertragen, das ist mir lieber. So vermeiden wir einen Spielstop, und ganz weltfremd ist die Regelung ja auch nicht!“
Nein, in einer Welt, wo auf der linken Spalte schön sauber die Top 10 der Branche, und auch noch mit wieviel VZ, aufgelistet werden, wo die Bestspieler sich wiederfinden und wo du wie früher bei den Bundesjugendspielen dich wiederfinden kannst, in der Leftside Ludohall of Fame also – mit dieser Denke können Varianten nun nicht mehr aussen vor gelassen werden. Böse Zungen behaupten sogar, unser Varianten-Ulbricht fordert die heilige Dreispaltigkeit der linken Kolonne: in der Spaltenmitte das Kartenvarianten-Ranking, rechts davon die Regelvarianten-Ergebnisse, und ganz links die Standardspiele, die natürlich auch zu ihrem Recht kommen sollen. Denn noch gibt es sie ja. Dirk will auch das sorgfältig prüfen, hiess es von seinem Pressestabb.
Doch wie lange gibt es sie noch? Die Crux der Bewertungen ist ja, wie mach ich es allen Spielern recht? Überall auf der Welt, bei jedem Wetter. Eine universelle Regel muss her. Doch leichter gesagt als getan. Die Quadratur des Kreises erwies sich als einfacher, und das Schneiden von Parallelen im Unendlichen gerät im Vergleich dazu geradezu leicht von der Hand.
Wenn ein sechster Platz in einer 13er Variante Crowded noch ca 1,56773 Periode Punkte einbringt, wie soll derselbe Platz dann bei einem 8er Multiple Void bepunktet werden? Mehr oder weniger Punkte? Nach welchem Schlüssel? Wo doch jeder weiss, dass Budapest dort am Anfang kein VZ ist, dann nach dem ersten Winterzug aber doch noch zu einem mutiert. Oder war es Serbien? Egal, hier geht es uns ja ums Prinzip.
Haben es zB 5 Spieler bei Ancient Mediterrenian leichter oder schwerer als 18 Spieler bei Chaos? Muss die Schwierigkeit der Verhandlungen mit einbezogen werden? Was ist, wenn nicht gleich mit VZ gestartet wird, sondern die VZ erst erkämpft werden müssen, und – wie ungerecht – einer dabei schlechter gestellt wird? Soll es Ehrenpunkte selbst für die am wenigsten Besten geben? Ist ein grösserer Aufwand an Verhandlungen ein Punktemehr wert? Brauchen wir überhaupt solche Punktebewertungen? Wem nützen sie ? Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr. Ja Ja!. Wie schön, dass es passende Sprichwörter gibt..
Bauchschwerzen bereitet auch die Prämisse, dass sich die Punktevergabe an dem Standardspiel mit 7 Spielern zu orientieren hat. Diese angewendet erscheinen Spielleistungen bei einer geringeren Spieleranzahl nach dem einen System entweder zu schwach bepunktet oder nach dem anderen System übervorteilt. Das würde dazu führen, dass Freaks an Spielen mit geringer Teilnehmerzahl wegen der wenigen Punkte diesen entsagen und sich lieber an einem punktestarken Vielespielerspieltisch niederlassen. Und so gehts ja auch nicht! Wir sind viel zu sehr unseren evolutionären heimatlichen Prinzipien verhaftet, müssen uns freimachen zugunsten einer wohlwollenderen allgemeinen Betrachtung.
Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass die Variantenspieler das Standardspiel völlig abschaffen und dieses Spiel allenfalls zu besonderen Anlässen zulassen wollen. Dann wäre die linke Spalte auch wieder übersichtlicher, mit noch Feld- und Regelvarianten. Denn die wenigen Standardspiele fänden sehr leicht unten beim Impressum Platz. Aber so weit sind wir noch lange nicht.
In der Formel 1 ist vieles einfacher. Es spielt nur die Zeit eine Rolle. Ob du mit Winterreifen startest oder mit Vollgummireifen, ob du einen Anhalter mitnimmst, mit angezogener Handbremse fährst oder die Klimaautomatik anläßt – egal. Hauptsache Stoff! Unter den vorderen drei sein, das ist es. Schon ab dem vierten wirst du nicht mehr von den Kameras erfasst, weil die Red Bull Werbung begonnen hat! Und mit den TV-Sendern die Einblendungen verabreden, dann bekommst du anschliessend fette Werbeaufträge. Eine für uns Ludofans völlig fremde Welt!
Erstmalig wurde also über die Bewertung von Spielleistungen in Varianten diskutiert, und die Diskussion hält an. Und mit welcher Akribie! Praktisch jeder, der Rang und Namen hat (wieder so eine Floskel), brachte sich ein. Wir wollen hier die einzelnen Rechenmodelle nicht wiederholen, dabei entstehen doch nur Fehler, die dann dem Redakteur angelastet werden, was dieser nicht will. Wir wollen stattdessen noch einige Tips geben, die bei der Überarbeitung der in die engeren Wahl gekommenen Vorschläge und der anschliessenden Verabschiedung qua Beschluss des Sicherheitsrates dann doch nicht unberücksichtigt bleiben sollten:
Hier die 10-Punkte-Checkliste:
1. Den Jungen gehört unsere Zukunft, das gilt umsomehr bei Ludo. Einen Juniorenbonus zB für Teilnehmer unter 25. Ein Punkt reicht aber, da die Jugend ja „in vollem Saft“ steht, wie sich jeder erinnert.
2. Den Juniorenbonus kann ich vorschlagen, weil ich viel älter bin. Daher darf ich auch einen Altersbonus vorschlagen, den die Denkleistung läßt nach, das Durchhaltevermögen bei Verhandlungen ist reduziert, die Belastbarkeit bei Stabbs ebeno vermindert. Und beim deutschen Sportabzeichen gibt es Altersklassen ja auch. „Jedes Lebensjahr über 40 ist gleich ein Zusatzpunkt“ wäre nicht vermessen.
3. Die Körpergröße muss mit einbezogen werden. Es ist erwiesen, dass grössere Menschen für die Zurücklegung einer Strecke viel weniger Kraftaufwand benötigen als kleinere. Das hat bei den Wegen zu und von Verhandlungen dann eine Bedeutung. Hier müssen kleinwüchsige bessergestellt werden.
4. Das Körpergewicht kann auch nicht ignoriert werden. Hier könnte man bei jedem Teilnehmer die Abweichung von seinem Idealgewicht als Subtraktion von der Gesamtsumme ansetzen, das wäre wohl gerecht.
5. Habe ich alle Körpermasse? Nein? Egal, die sonstigen "kleineren" lassen wir einmal aussen vor, da eingebildete Frustgefahr besteht.
6. Unsere Frauen sind bei Ludo und auch bei den Varianten stark unterrepräsentiert. Und das in einer Zeit, in der die Frauenquote in aller Munde ist. Andere Länder sind da weiter. Die Norweger setzen bei Ludo 40% an, die Holländer gehen mit 30% vorsichtiger ran. Unsere Ministerin von der Weide (die "Kuh"), die übrigens nicht nur im Bereich Arbeit und Soziales, sondern auch für Sport und Spiel Unterstützungen kappt, hat sich für Ludo noch nicht geäussert. 5% sei aber wirklich das Minimum, hiess es.
7. Die Magie des Lächelns. Das kennen wir alle – und einige haben es schwer mit dem Lächeln. Sie gehen äußerst dosiert damit um, sind reserviert, schützen sich auch vor solchen "Ansteckungen". Dass sie es nicht so leicht haben, müssen wir berücksichtigen - zu ihren Gunsten. Wie machen wir das? – Ganz einfach. Zu Beginn der Veranstaltung werden mit versteckter Kamera die Gebärden aller Teilnehmer unauffällig gemessen, sodann wird die Anzahl die positiven Gebärden von der der negativen subtrahiert. Ist die Summe positiv, wird sie den Teilnehmern gutgeschrieben. Dann gehts denen leichter von der Hand.
8. Schliesslich die Schlechtwetterzulage. Wer viel draussen verhandelt und dabei Wind und Wetter ausgesetzt ist, schlafft früher ab, ist leichter anfällig gegenüber Angriffen, wird häufiger in Unfällen verwickelt usw. Das ist bei Beamten so, die Bundeswehr hat diese Privilegien, das muss bei uns auch gelten. Und - kleiner Nebeneffekt: so wird auch der Fürsorgepflicht unserer Spielleiter Rechnung getragen.
9. Einer behauptet nie zu lügen. Toll, wenn es wahr ist. Glaubt das die Frau auch? Wenn ja, dann wäre uns das uns einen Sonderpunkt wert. Abstimmung durch die Mitspieler, einfache Mehrheit genügt, denn die meisten sind ja mit festen Partnern liiert.
10. Und zuletzt der Spritfaktor. Wer richtig tankt, kommt auf bessere Leistungen. Auf den Sprit kommt es an. Wer hier mit einem FJS-Kennzeichen vorfährt, einen Kasten auslädt und der Allgemeinheit zur Verfügung stellt, darf mit wenigstens einem „Sozialpunkt“ rechnen.
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die alles und aber auch alles bepunktet und auch vor der Bewertung des Sexuallebens nicht halt macht. Orgasmus ist heute längst nicht mehr Befriedigung, oder war es umgekehrt? Nicht dass ich mich nicht erinnern könnte. Nein! Ich habe nur irgendwann angefangen, es abzulehnen. Nicht das Sexualleben, sondern die Bewertung. Daher diskutiere ich zwar bei der Frage der Bewertung der Punkte mit, aber am Ende ist es mir egal. Denn für mich zählt der Spassfaktor, der Kuschelfaktor, wie mein Boss sagt, übrigens genauso wie im Sexualleben. Und damit bin ich bisher „glänzend“ gefahren! Nicht auf die Quantität kommt es an, sondern auf die Performance, das Ambiente und das Gesamtarrangement!
So bleibt mir nur, den Fanatikern unter uns zu wünschen, dass es ihnen gelinge, ein gerechtes Modell zu entwickeln, während ich mich beschränken würde auf die Auslobung von Sonderpreisen wie „Bester Diplomat“, „Bester Stabber“, „bester Sichärgerer“, und ich Leistungspunkte in Sozialpunkte umwandele und diese verteile. Damit durchquert mir - jedes Kamel - jedes Nadelöhr - jederzeit. Punkt!
- C. Reichardt, 01.04.2011
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