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Die Schweden-Situation |
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oder: Warum Rußland so oft
fertiggemacht wird
von Andrew Goff (andrewgoff@hotmail.com)
ÜBERSETZT VON TIMO MÜLLER
In den Spielen im Rahmen eines kürzlich in Australien ausgetragenen Turniers war ein
beunruhigender Trend gegen Rußland festzustellen, und, in geringerem Ausmaß, auch gegen
Deutschland. Obwohl das teilweise dem normalen Auf und Ab der großen Mächte, das auch
statistisch belegt ist (zur Zeit dominiert Frankreich, mit deutlichem Abstand gefolgt von
England), zuzuschreiben ist, existiert auch ein grundlegender Denkfehler über die Art,
wie Deutschland und Rußland zu Beginn des Spiels gespielt werden sollten. Dieser hat
starke Auswirkungen, vor allem auf Rußland, aber auch auf Deutschland.
Der Denkfehler liegt in dem Glauben, daß Rußland und Deutschland nicht zusammenarbeiten
können. Das sichtbarste Beispiel dieses fast allgegenwärtigen Problems tritt auf, wenn
man sich mit der Schweden-Frage befaßt.
Grundsätzlich ist Schweden das einzige neutrale Versorgungszentrum auf dem Spielfeld, das
im Jahr 1901 nur von zwei Mächten mit gleichstarken Kräften erreicht werden kann. Alle
anderen Zentren sind entweder "sicher" (wie Tunis und Bulgarien) oder
"unsicher" (wie Belgien und Rumänien). Nur Schweden sticht heraus als einzige
neutrale Provinz, die nur durch Diplomatie besetzt werden kann. Manchmal kommt es mir so
vor, als ob Deutsche den Russen nur blocken, weil sie die Gelegenheit dazu haben.
Verhandlungen sind daher die einzige andere Lösung.
Sind sie das? Eine Theorie schlägt vor, daß Rußland auf Schweden verzichtet und sich
dafür im Baltischen Meer positioniert, um einen Angriff auf den Hunnen zu starten. Würde
diese Taktik (wenn sie gewohnheitsmäßig gegen einen feindseligen Deutschen angewandt
würde) zu einem Umdenken weg von der Blockade in Schweden führen? Meine Antwort ist
nein. Erstens würde sie nur den Mythos, daß Deutschland und Rußland nicht
zusammenarbeiten können vertiefen, was nicht gerade zu einer häufigeren Eingung über
die russische Einnahme Schwedens führen würde. Zweitens ist die Gegenstrategie zu diesem
Zug (F Den-Swe, A Kie-Den) so stark, daß F Bal sehr stark bedrängt würde und Rußland
genug Feinde hätte, um schnell unterzugehen. Nein, ich bin überzeugt, daß die Antwort
in einem fundamentalen strategischen Denkfehler zu finden ist und nicht in taktischen
Spitzfindigkeiten wie dieser.
Wenn man darüber nachdenkt, ist dieser strategische Irrtum eine Schande. Diplomacy ist
als fließendes, dynamisches Spiel gedacht. Die zur Zeit allgemein akzeptierte Weisheit,
daß Rußland und Deutschland nicht zusammenarbeiten können ist nicht nur total falsch,
sondern auch eine Beleidigung des Spiels.
Indem die Möglichkeit eines Rußland-Deutschland-Bündnisses gegen die Bedrohung der
englisch-französischen Allianz eliminiert wird, ist das größte Hindernis gegen diese
gefährlichste aller Allianzen beiseite geräumt. Wen wundert es da noch, daß wir Ende
1901, wenn die erste Verteidigungslinie zerrissen ist, ständig ein von England und
Frankreich (gelegentlich unter Einschluß Deutschlands) dominiertes Spielbrett sehen? In
Wirklichkeit ist die Situation noch ein bißchen ungleichmäßiger, da die südlichen
Mächte nach dem jetzigen Stand Rußlands Position im Norden genau beurteilen können und
so zuerst Rußland unterstützen und dann sicherstellen, daß es genau in dem Moment
zusammenbricht, in dem sie die meisten Zentren abstauben können.
Es ist katastrophal. Deutschland schlägt einen potentiellen Verbündeten aus und Rußland
muß alle Kräfte in den Süden werfen, um nicht nach und nach aus dem Spiel gedrängt zu
werden. Plötzlich treffen England und Frankreich alle Entscheidungen und Italien, das
sich eigentlich frei zwischen Österreich und der Türkei entscheiden könnte, muß sich
eher mit der Bedrohung französischer Züge ins Mittelmeer auseinandersetzen als zu einer
bedeutenden Macht zu werden.
Genug der Folgen des anscheinenden "Standardzugs" F Den-Swe. Was sind die
Alternativen? Und warum sollte Deutschland sie ausführen?
Zuerst einmal behaupte ich, daß es nur zwei Fälle gibt, in denen Deutschland Rußland in
Schweden blockieren sollte. Entweder wenn Rußland nach Schlesien oder Preußen eröffnet
hat oder wenn Deutschland ein Bündnis mit England und Frankreich hat.
Wo Deutschland in einem Bündnis mit England ist, ist ihr größtes Bedürfnis Friede im
Norden, so daß sie sich daran machen können, Frankreich so schnell wie möglich zu
demontieren. Der Hauptgrund für das Scheitern englisch-deutscher Bündnisse zu Beginn des
Spiels ist, daß sie versuchen, Schweden und St. Petersburg zu nehmen, obwohl schnelle und
starke Züge gegen Frankreich notwendig wären. Rußland wird diese Umstände im
Gedächtnis behalten.
Bei einem deutsch-französischen Bündnis ist die russische Unterstützung für
Deutschland (indem es F Swe nach Nwy zieht und Den-Nth unterstützt) entscheidend für die
deutschen Gewinnchancen, und eine Blockade in Schweden wäre unter diesen Umständen
idiotisch, wenn nicht selbstmörderisch. Wiederum sollten gute Züge des Deutschen
sicherstellen, daß Rußland ihn zumindest nicht gewinnbringend betrügen kann und
bestenfalls effektiv und schnell um alle skandinavischen Zentren gebracht werden kann.
Im Fall eines englisch-französischen Bündnisses ist Rußland Deutschlands einzige
Hoffnung, und Rußland aus Skandinavien herauszuhalten in der Hoffnung, so England zu
besänftigen, ist ein gefährlicher Fehlschluß.
Warum um alles in der Welt von allen Mächten ausgerechnet Deutschland ein Bündnis mit
England und Frankreich schließen wollen würde (das in 90 Prozent der Fälle sowieso nur
ein kurzfristig erweitertes England-Frankreich-Bündnis ist), geht über meine
Vorstellungskraft, deshalb ist der Fall, in dem Rußland offensichtlich Deutschland
angreift, der einzige wirklich sinnvolle Grund, Schweden zu blockieren.
Warum passiert das nun so oft? Normalerweise, weil die meisten anderen Mächte Deutschland
diplomatisch isoliert sehen wollen. Zumindest England, Frankreich und Österreich wollen
sicher sein, daß Deutschland nirgendwo Hilfe bekommt, wenn sie sich entschließen, es
anzugreifen, und England hat normalerweise große Angst vor einem deutsch-russischen
Angriff (selbst ohne französische Hilfe).
Leider hören die meisten Deutschen auf diesen zwielichtigen Ratschlag. Auf dieselbe
Weise, in der der Zug A Mun-Ruh garantiert, daß irgendjemand im Herbst nach München
ziehen wird, bedeutet eine Blockade in Schweden normalerweise, daß Rußland nun offen
für alle Vorschläge eines Angriffs auf Deutschland ist. Nur wegen der Blockade schuldet
sicherlich niemand dem Deutschen einen Gefallen. Die Häufigkeit, mit der ich den
Deutschen auf die Frage, warum er mich als Russen in Schweden blockiert hätte, antworten
hörte, "jeder Mitspieler hat mir dazu geraten", ist phänomenal, und das ganze
wird noch bemerkenswerter durch den Umstand, daß der beste Grund, irgendeine Strategie
nicht anzuwenden, der ist, daß jeder einem zu dieser Strategie rät.
In Wirklichkeit ist in 75 Prozent der Fälle ein russischer Einmarsch in Schweden gut für
Deutschland. Und der Großteil der verbleibenden 25 Prozent ergibt sich, wenn Rußland den
Deutschen schon angreift oder wenn es sowieso nichts ausmachen würde.
Ich könnte nun eine lange Abhandlung darüber beginnen, wie russisch-deutsche Bündnisse
funktionieren, und wie englisch-russisch-deutsche Bündnisse funktionieren, aber ehrlich
gesagt seid ihr ja alle schlaue kleine Kinder und es gibt viele Wege, damit erfolgreich zu
sein, also überlasse ich das euch. Was ich herausstellen möchte, ist, daß diese
Bündnisse nicht nur möglich sind, sondern daß sie alle recht stark sind.
Die Situation enthält einige grundlegenden Elemente, die hier behandelt werden sollten.
Alle diese Elemente sind deutsche Fragen, die sich aus "warum sollte ich dir Schweden
geben?" ableiten, und auf alle diese Fragen gibt es Standardantworten. Wenn Rußland
sein Wort bricht, weiß der Deutsche, wem er vertrauen kann. Falls Rußland sein Wort
hält (und das tut es fast immer, weil es in seinem eigenen Interesse ist), ist
Deutschland in der Position für ein gutes Spiel.
Frage 1: "Warum sollte ich dir Schweden geben?"
Richtige Antwort: "So habe ich eine Chance, meine Position im Süden zu
stärken."
Falsche Antwort: "So kann ich in St. Petersburg (Nordküste) aufbauen und England
angreifen."
Deutschland wird vielleicht von Rußland verlangen, A StP aufzubauen, aber niemals F StP.
F StP wird ein langfristiges Bündnis unmöglich machen. Der Russe sollte über die
Position im Süden die Wahrheit sagen. Wenn er denkt, daß er Rumänien bekommen wird,
sollte er es sagen. Wenn er denkt, daß er Wien, Rumänien und Ankara bekommen wird,
sollte er es sagen. Rußland will ein wirklich, wirklich gutes Verhältnis zu Deutschland
und sollte darauf vorbereitet sein, großzügige Zugeständnisse zu machen, die
Deutschland nützen. Es sollte jede Unterstützung zusagen und geben. Der Russe sollte
Deutschland niemals anlügen, denn das ist der beste Weg, A Ber-Pru und A Mun-Sil zu
erreichen. England ist Rußlands Erzfeind, und eine Zusammenarbeit mit Deutschland ist der
einzige Weg, dieses Problem zu lösen.
Frage 2: "Was wirst du aufbauen, wenn ich dir Schweden gebe?"
Richtige Antwort: "Was du willst."
Falsche Antwort: "F StP und A War."
Das ist völlig offensichtlich. Der "Trick" ist, daß der Russe wirklich meint,
was er sagt. Wenn Deutschland ihm Schweden gibt, wird er wirklich F Sev und A StP
aufbauen, falls Deutschland das so will. Warum nicht??? Sie arbeiten zusammen, und wenn
Deutschland Rußland überfallen will, wäre es a) doof, ihm Schweden überlassen zu
haben, und b) idiotisch.
Frage 3: "Wieso sollte ich dir vertrauen?"
Richtige Antwort: "Weil es in meinem Interesse liegt, mit dir zusammenzuarbeiten,
solange du mich nicht angreifst."
Falsche Antwort: "Weil ich dich vernichten werde, wenn du es nicht tust."
Die richtige Antwort ist wahr. Genauso wahr ist zufälligerweise die falsche Antwort, aber
das muß man ihm ja nicht auf die Nase binden. Ehrlich gesagt erstaunt es mich, daß der
Russe jemals der erste sein könnte, der bei einem Angriff auf Deutschland dabei ist. Alle
Gewinne, die er dabei macht, wird er sowieso wieder an England verlieren, sobald
Deutschland ausgeschaltet ist. Ein Angriff auf Deutschland sollte die letzte Möglichkeit
des Russen sein. Leider ist das im Moment allzu oft nötig.
Generell ist ein Krieg zwischen Rußland und Deutschland für beide so sinnvoll wie ein
italienischer Angriff auf Frankreich mit einer Armee. Die Statistik zeigt das recht
dramatisch. Man muß nur von F Den-Swe ausgehen. Es hilft Deutschland nicht. Und es
bewirkt, daß Rußland am Ende ist.
Es ist sowohl in Deutschlands als auch in Rußlands Interesse, den Zustand wohlwollender
Neutralität am Anfang des Spiels zu sichern, und manchmal ist eine aktive Zusammenarbeit
die einzige Möglichkeit, England und Frankreich davon abzuhalten, das Spielfeld
aufzurollen.
Hoffentlich, wenn jeder dem Kern dieses Artikels zugehört hat, können wir den russische
Durchschnitt beim nächsten Turnier wieder über 2 bringen... schon wenn wir die Leute
einfach davon überzeugen könnten, daß englisch-deutsche Bündnisse funktionieren,
wären wir schon fast zurück bei einem ausgeglichenen Spiel!