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Gewinnen mit Italien |
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von Steve Ray (raytri@yahoo.com)
ÜBERSETZT VON TIMO MÜLLER
EINFÜHRUNG
Es scheint eine allgemein akzeptierte Weisheit im Diplomacy zu sein, daß Italien ein
schwaches Land ist, mit dem es schwierig ist, zu gewinnen. Verschiedene Autoren haben
argumentiert, daß das Problem in der Art und Weise liegt, wie man Italien
spielt - es erfordert eine andere Taktik als die meisten anderen Länder - aber auf solche
Behauptungen folgen nur wenige Beispiele zur Erklärung.
Ich habe herausgefunden, daß Italiens schlechter Ruf sich in Wirklichkeit nicht
aufrechterhalten läßt. Seit ich vor ungefähr einem Jahr online gegangen bin, habe ich in acht
E-Mail-Partien mitgespielt bzw. spiele immer noch mit. Von den vier, die schon beendet
sind, hat Italien zwei alleine gewonnen und überlebte im Dritten einen französischen
Alleinsieg bis zum Ende. Von den vier übrigen Partien steht Italien in einer ziemlich gut
da, ist in zwei anderen schon hinausgeflogen oder steht kurz davor, und im vierten Spiel
kann man noch nichts sagen. Insgesamt keine schlechte Bilanz.
Ich habe eine weite Palette von Verhaltensweisen kennengelernt, aus verschiedenen
Perspektiven, und fühle mich ausreichend qualifiziert, um Italiens Schwächen, Stärken
und Strategien zu beurteilen.
OFT DURCHGEFÜHRTE ERÖFFNUNGEN
Die beiden Haupteröffnungen für Italien sind das Lepanto in allen seinen Variationen und
der "Go Fasta"-Ansatz - die meiner Meinung nach beide eher ein konventionelles
Denken des Italieners unterstützen.
Ich stimme mit dem Autor von
"Geography is Destiny" [deutsch] darin
überein, daß die Lepanto-Eröffnung für Italien in der Tat ein sehr riskanter Versuch
ist, der sich selten auszahlt: Ich habe es öfter erlebt, daß Italien mit einem Lepanto
scheitert, als daß es erfolgreich ist. Das wird sich wahrscheinlich immer weiter
ausbreiten, weil inzwischen jeder erwartet, daß Italien ein Lepanto macht, wodurch das
Überraschungsmoment, das für den Erfolg des Lepanto entscheidend ist, ausgeschaltet
wird.
Der Go Fasta-Ansatz ist zwar
effektiv, aber zu spezifisch, und erfordert außerdem viele Voraussetzungen, die anderswo auf dem
Spielplan geschehen müssen: kein russisch-türkisches Bündnis, Frankreich muß Italien
mindestens während der nächsten drei Jahre in Ruhe lassen, die Türkei muß zustimmen,
wenn es daran geht, die Balkan-Zentren zu erobern und aufzuteilen, Rußland muß sich
bereiterklären, Italien gegen die Türkei zu unterstützen und nicht die Türkei gegen
Italien, und so weiter.
Ich möchte in diesem Artikel eine allgemeine Erörterung der Stärken und Schwächen
Italiens führen, aus der die Spieler ihre eigenen Strategien entwickeln können. Ich
werde zwar eine Strategie beschreiben, die sich aus dieser Erörterung ergibt, aber ich
denke, es ist, wenn man Italien spielt, wichtiger, seine Vorteile und Grenzen zu kennen,
als sich auf eine genaue Zugfolge festzulegen.
GRÖSSTE SCHWÄCHEN
Es scheint, daß jeder eine Liste von italienischen Schwächen herunterrasseln kann, also
kann ich gleich mit ihnen anfangen.
1. Nur ein sicheres neues VZ, aber in einer isolierten Lage (Tunis).
Na gut, das ist ärgerlich. Aber es heißt auch, daß sich Italien 1901 keine Feinde
macht, außer wenn es das selbst möchte.
2. Weitere Ausdehnung ist nur über gegnerische Heimat-VZ möglich.
Das ist zugegebenermaßen ein kleines Problem, weil alle italienische Nachbarn genau
aufpassen werden, wohin es sich 1902 wendet. Andererseits haben die meisten Mächte nach
1901 dasselbe Problem, und die meisten Nachbarn können nicht ihre eigenen Angriffszüge
planen und gleichzeitig eine Verteidigungslinie gegen einen möglichen italienischen
Angriff aufbauen. In dieser Situation wird kaum eine andere Macht als Österreich auch nur
versuchen, diese Verteidigung aufzubauen, weil sie auf Pufferzonen und Diplomatie
vertrauen, um einen italienischen Angriff abzuwehren.
Wenn man dazu noch die Tatsache sieht, daß Italien eine schwer zu erobernde Macht ist,
finde ich, daß Italien normalerweise den Luxus genießt, sich aussuchen zu können,
welche Macht es angreift und mit welcher Macht es sich verbündet.
3. Der Fall Triest.
Die größten Zerstörer der italienischen Chancen sind unerfahrene oder gierige Spieler
für Italien oder Österreich: diese beiden Versorgungszentren (Venedig/Triest), die
aneinander angrenzen, sind eine ständige Versuchung/Bedrohung für den anderen Spieler.
Zum Glück gibt es eine einfache Tatsache, die das wieder ausgleicht: in neun von zehn
Fällen, in denen Italien oder Österreich sich gegenseitig zu Beginn des Spiels
angreifen, scheiden beide früh aus. Deshalb sollte Italien, wenn es den Nachbarn
überzeugen kann, die Dinge langfristig zu betrachten, hier einen guten Stand haben.
Selbst wenn das nicht funktioniert, ist nicht alles verloren: Es ist einfacher für
Italien, Österreich zu stabben, als andersherum. Vor allem in der Frühphase des Spiels
kann Italien Venedig viel leichter decken als Österreich Triest. Und wenn 1902 naht, hat
Österreich normalerweise mindestens einen weiteren Nachbarn, mit dem es sich
auseinandersetzen muß, und plötzlich sieht ein Krieg mit Italien gar nicht mehr
einladend aus. Deshalb sollte Italien, wenn es 1901 ohne erfolgreichen österreichischen
Angriff übersteht, keine Probleme haben.
4. Große Hindernisse für Angriffszüge.
Richtig. Will es einen anderen Nachbarn als Österreich angreifen, muß Italien eine Menge
leerer Gebiete durchqueren: Tirol und Piemont zu Land, und mindestens zwei Gebiete zur
See. Außerdem beschränkt die Schweiz alle Landrouten auf Flaschenhälse mit nur einer
Grenze, so daß jeder ernstgemeinte Angriff auf Frankreich und die Türkei
Flottenunterstützung erfordert. Das heißt, daß es für Italien schwer ist,
entscheidenden Druck auf einen seiner Nachbarn auszuüben, und beinahe unmöglich,
Einheiten für zwei Bestimmungen zu verwenden: Einheiten, die an einer Front angreifen,
sind normalerweise nicht in der Stellung, gegen einen Angriff an der anderen Front zu
verteidigen.
Die hauptsächliche Schwierigkeit ist, daß Italien seine Angriffe sorgfältig planen
muß, wenn es eine Erfolgschance haben will. Aber wie wir sehen werden, können diese
Pufferzonen auch eine Stärke sein. Seine Nachbarn sehen es normalerweise nicht als
Bedrohung, gegen die man sich rüsten muß, und das erlaubt ihm, einen effektiven
Zweifrontenkrieg zu führen.
5. Es gerät leicht zwischen zwei Fronten.
Italien ist unausweichlich ein Ziel für ein russisch-türkisches oder
österreichisch-türkisches Bündnis, ebenso wie für jedes Bündnis von Weststaaten.
Normalerweise ist die Basis jedes solchen Bündnisses, daß eine Macht Nordeuropa zu Land
durchquert, während die andere Macht über das Mittelmeer zur See vorstößt. Schon ein
solches Bündnis ist ziemlich schlecht, aber ein Spiel, in dem es gleich zwei gibt, kann
sehr erschreckend sein. Das macht es für Italien zur wichtigsten Aufgabe, schnell und oft
die Bildung solcher Bündnisse zu verhindern. Wenn es das nicht schafft, sollte es sich
für eine der beiden Seiten entscheiden: ein Bündnis mit Frankreich und England, in dem
England im Norden vorstößt, Frankreich durch Deutschland und Italien im Osten, wäre
eine denkbare Möglichkeit. Wenn das nicht klappt, sollte Italien sich auf seine
natürlichen Verteidigungsmöglichkeiten verlassen. Wenn es genug Flotten hat, wird es ein
sehr unattraktives Ziel für jeden möglichen Eindringling.
GRÖSSTE STÄRKEN
Italiens Stärken sind anderswo schon grob umrissen worden: hauptsächlich, daß es
schwierig auf dem Landweg zu erobern ist, und daß seine zentrale Position ihm eine
Mitsprache bei der Entscheidung gibt, wer erfolgreich sein wird und wer nicht. Aber warum
ist das so, und was heißt es für Italien?
So wie ich die Sache sehe, sind die Stärken, die die Geographie Italien gegeben hat, die
Folgenden:
1. Es liegt am Südrand des Spielplans.
Das sollte man nicht unterschätzen. Es ist schon einmal eine Richtung, um die sich
Italien keine Sorgen zu machen braucht, und es gibt ihm besseren Schutz gegen einen
Angriff.
2. Seegebiete im Osten und Westen dienen als unaufwendige Pufferzonen.
Natürlich ist es ärgerlich, wenn Italien sie bei einem Angriff zuerst durchziehen muß,
aber sie sind auch ein großer Vorteil bei der Verteidigung. Solange es keine "Alle
auf Italien"-Bewegung - die nicht gerade üblich ist - gibt, werden es sich die
meisten Nachbarn nicht zumuten, zu Beginn des Spiels zur See dort einzufallen. Und wenn,
dann müssen sie ihre Absicht mindestens einen Zug vorher offenbaren.
3. Die Schweiz im Norden.
Die unzugänglichen Alpen schützen Italien mehr als jede andere Macht, indem sie deutsche
und französische Angriffe abhalten. Sie dienen außerdem als psychologische
Trennungslinie für seine Truppen (siehe Nr. 6 weiter unten).
4. Natürliche Verbündete in England, Deutschland und Rußland, und gute Gründe, warum
sowohl Frankreich als auch die Türkei und Österreich Italiens Freunde sein wollen.
Egal welches Land ich spiele, ein Teil meiner grundlegenden Diplomacy-Philosophie ist,
daß Mächte, zu denen ich keine direkte Grenze habe, die besten Verbündeten sind. Sie
können mit großer Wirkung zusammenarbeiten, aber weil sie keine gemeinsame Grenze haben,
ist es sehr schwierig, sich gegenseitig zu stabben.
Für Italien heißt das, daß England, Rußland, und, mit deutlichen Einschränkungen,
auch die Türkei seine besten Verbündeten sind. Es kann England nutzen, um Frankreich zu
kontrollieren, und Rußland, um Österreich und die Türkei zu kontrollieren.
Deutschland ist am Anfang keine große Hilfe, außer vielleicht durch einen Einmarsch in
Frankreich, aber es erfüllt einen sehr nützlichen Zweck als zweites Ziel für Italiens
Verbündete. Wenn Italien und England zum Beispiel Frankreich vernichtet haben, wird
England sich viel eher Deutschland zuwenden als Italien. Deshalb ist Italien daran
interessiert, Deutschland stark, aber nicht zu stark zu halten, natürlich auf der anderen
Seite der Schweiz. Das wird nicht nur seine eigentlichen Verbündeten stören, sondern ihm
auch noch einen größeren Teil der angegriffenen Gebiete sichern: Wenn Rußland sich
Sorgen wegen Deutschland machen muß, wird es Italien Budapest und Wien überlassen,
anstatt deshalb große Auseinandersetzungen anzufangen.
Das heißt nicht, daß ein starkes italienisch-deutsches Bündnis nicht funktionieren
kann: immerhin wollen beide verhindern, zwischen den Eck-Staaten zerrieben zu werden, und
können einander helfen, ohne sich direkt um Zentren streiten zu müssen. Italien könnte
sich auch ein nicht allzu starkes Deutschland als Juniorpartner nehmen, wenn es daran
geht, einen seiner früheren Verbündeten abzuservieren. Aber wenn die Dinge im
Gleichgewicht bleiben, ist es vielleicht eine bessere Idee, seine Freunde länger zu
behalten.
Entfernt liegende Mächte sind also die besten Verbündeten. Aber sogar Italiens nächste
Nachbarn haben gute Gründe, mit ihm befreundet sein zu wollen, vor allem zu Beginn des
Spiels. Österreich will keinen Vierfrontenkrieg; die Türkei will Hilfe gegen Österreich
und kein Lepanto; Frankreich will Portugal und Spanien sichern, und er weiß den Wert der
Pufferzone Piemont / Golf von Lyon / West Med zu schätzen, während er sich darum
kümmert, wer im Westen die Oberhand behalten wird.
Daraus folgt in den meisten Spielen, wenn Österreich vernünftig handelt, daß Italien in
den ersten paar Jahren des Spiels - vielleicht sogar noch länger - keinen geplanten
Angriff fürchten muß. Deshalb kann es sich eine längerfristige Wachstumsstrategie
leisten, hart spielen, um seine Ziele zu erreichen, sich von den Nachbarn umwerben lassen
und sich Zeit nehmen, um sich für eine Seite oder eine Strategie zu entscheiden.
5. Wenn Italien einmal fünf Einheiten hat, kann es einen Zweifrontenkrieg effektiver
führen als jede andere Macht.
Mit der Randlage im Süden und dem Schutz durch die Schweiz im Norden kann Italien
normalerweise eine Grenze mit zwei Einheiten verteidigen, während es an der anderen
Grenze mit den restlichen Einheiten Krieg führt. Keine andere Macht kann seine Kräfte so
effektiv aufteilen - oder eine Grenze mit so wenigen Einheiten so sicher verteidigen.
6. Die Möglichkeit, klein auszusehen.
Das ist ein GROSSER Vorteil. Die Schweiz und die italienische Halbinsel bilden nicht nur ein
physisches, sondern auch ein psychisches Hindernis. Weil italienische Einheiten an der
einen Grenze normalerweise weit weg vom Geschehen an der anderen Seite sind, halten die
meisten Leute Italien für kleiner, als es wirklich ist. Wenn Italien mit vier Einheiten
Frankreich angreift und mit drei auf dem Balkan dabei ist, werden die Westmächte ein
Italien mit vier Einheiten wahrnehmen und die Mächte im Osten ein Italien mit drei
Einheiten. Natürlich wissen sie auf einer abstrakteren Ebene, daß Italien sieben VZ
besitzt, aber weil die Hälfte dieser Zentren keine vorstellbare Gefahr für sie bedeutet,
zählen sie diese nicht dazu. Das heißt, daß Italien ziemlich groß werden kann, bevor
die anderen Spieler es als europaweite Bedrohung wahrnehmen. Es heißt auch, daß Italien
oft erfolgreich eine gleichberechtigte Aufteilung eroberter Zentren erreichen kann, obwohl
es doppelt so groß ist wie seine Verbündeten.
7. Die Möglichkeit, militärische und diplomatische Aktivitäten auf beiden Seiten des
Spielplans zu beeinflussen.
Das ist nicht nur ein Vorteil, es ist sogar notwendig. Italien geht jeden Mitspieler
direkt an. Wem wird England, wenn es vor dieser Wahl steht, wohl eher zuhören: der
Türkei, die nicht mehr bietet als gute Wünsche, oder Italien, das Einheiten zur
Verfügung hat, mit denen es direkt das Schicksal der englischen Nachbarn beeinflussen
kann? Ein erfolgreiches Italien wird diplomatisch außergewöhnlich aktiv sein, indem es
das Potential seiner zentralen Lage nutzt, um die Ereignisse auf dem ganzen Spielbrett zu
beeinflussen. Oft kann Italien eine andere Macht dazu bringen, ihre gesamten Streitkräfte
für einen gemeinsamen Angriff aufzuwenden, bei dem es selbst nur eine enizige Einheit
stellt.
Deutschland und Österreich haben dieselbe Macht, aber sie werden normalerweise als viel
gefährlicher angesehen als Italien, weil sie von Versorgungszentren umgeben sind und
verschiedene Angriffsrouten zur Auswahl haben. Oft ist es den anderen Spielern lieber,
Deutschland und Österreich schnell untergehen zu lassen, als das Risiko auf sich zu
nehmen, daß einer der beiden unkontrollierbar groß wird. Weil Italien schwierig
anzugreifen ist und umgekehrt auch schwieriger selbst angreifen kann, kann es aus seiner
zentralen Lage besseren Einfluß ausüben.
Italien kann auch durch zurückhaltende Unterstützung Einfluß ausüben. Wenn es den Balkan
für mehrere Jahre in Aufruhr sehen will, kann es seine Unterstützung immer wieder
anderen Bündnissen geben - oder aktiv einen "Alle auf den Führenden"-Angriff
ermutigen, in dem die beiden kleinsten Mächte sich gegen die größte zusammenschließen.
Das kann viel Zwietracht unter den Balkanmächten säen und es für sie schwierig machen,
ein Bündnis ohne italienische Hilfe aufzubauen - also ohne seinen Segen und seine aktive
Beteiligung. So steuert es aus einer "neutralen" Position heraus die Mächte,
weil ihm alle Seiten mehr oder weniger vertrauen.
8. Es steht nicht im Mittelpunkt.
Kein Land muß unbedingt durch Italien ziehen, um zu wachsen; ein geschicktes Italien kann
die großen Konflikte von sich fernhalten, indem es sich selbst zu einem schwierigen
Angriffsziel macht und aktive Diplomatie betreibt. Frankreich kann durch Deutschland
ziehen, die Türkei durch Österreich oder Rußland. Wenn Italien seinen Nachbarn eine
Alternative anbieten kann, werden sie froh sein, einen langen und relativ unergiebigen
Krieg mit ihm vermeiden zu können. Das wird normalerweise bis zum Mittelspiel
funktionieren, deshalb sollte Italien genau aufpassen, welcher Mitspieler einen Alleinsieg
versuchen könnte; er wird es bald stabben, wenn er meint, daß er so am einfachsten 18
Versorgungszentren zusammenbekommt.
9. Tunis.
Ja, Tunis ist eine Stärke. Zusammen mit dem Tyrrhenischen Meer ist es eine zentrale
Region, die die Ereignisse im gesamten Mittelmmer beeinflussen kann. Eine Flotte in Tunis
kann sowohl nach Osten als auch nach Westen ziehen und so schnell die Kräfteverhältnisse
im Mittelmeer verändern; sie kann sowohl Frankreich als auch die Türkei bedrohen und
abschrecken. Eine Flotte in Tunis kann Italien helfen, das Ionische Meer zu halten,
während sogar ihre bloße Anwesenheit in Tunis die Westgrenze verteidigt - nicht viele
italienische Provinzen haben diese Macht. Tunis sollte nicht besetzt und dann automatisch
wieder verlassen werden: es sollte als eine der Säulen der italienischen Strategie im
Mittelmeer benutzt werden.
10. Venedig.
Venedig ist genauso wie Tunis ein Angelpunkt, aber ein kniffliger. Da es ein Heimatzentrum
ist und direkt neben Triest liegt, kann Italien es als Vorwand nutzen, um in diesem Gebiet
das ganze Spiel über eine Armee herumziehen zu lassen. Und diese Armee kann schnell
zwischen den drei Fronten Tirol, Piemont und Triest wechseln, aber auch in den Süden
ziehen, um die Heimat gegen einen Seeangriff zu verteidigen. Wenn Italien eine Armee in
Venedig und eine Flotte in Tunis stationiert, kann es in nur einem Zug ohne Vorwarnung von
einer scheinbar harmlosen Verteidigungsposition zu einem Angriffszug nach Osten oder
Westen übergehen.
STRATEGIE
Jetzt, wo wir das Allgemeine erörtert haben: welche Strategie ergibt sich daraus? Hier
ist eine Idee, wie man eröffnen könnte. Aber es gibt eine große Zahl anderer
Möglichkeiten.
DIE FRENCH CONNECTION
Wenn eines der größten langfristigen Probleme Italiens die Möglichkeit ist, von einem
Bündnis, das aus einem Eck des Spielplans heraus angreift, zerrieben zu werden, warum
sollte es sich dann nicht selbst an die Stelle eines dieser Eckstaaten setzen? Greife also
zusammen mit England und/oder Deutschland Frankreich an, und sei, wenn der große Angriff
von Westen aus beginnt, ein Teil davon und nicht sein erstes Opfer.
Diplomatie im Frühjahr 1901
Bei einem Angriff auf Frankreich ist englische Hilfe unverzichtbar: Man braucht Flotten,
um Frankreich schnell aufzureiben, Deutschland ist im ersten Jahr keine große Hilfe, und
du selbst kannst Frankreich nicht unbedingt überraschen.
Was du aber tun kannst, ist, Frankreich mit einem Zweifrontenkrieg zu konfrontieren, was
es in das klassische Herbst-Dilemma bringt, entweder Portugal/Spanien einzunehmen oder
Brest/Marseilles zu verteidigen. Zu erreichen, daß Frankreich nicht aufbauen kann, ist
beinahe so gut wie einen eigenen Aufbau zu bekommen.
Das einzige, was du nicht willst, ist, daß der Franzose A Mar-Pie befiehlt, denn das
würde ihm erlauben, dich zu blockieren und im Herbst problemlos Spanien einzunehmen. Es
solle aber nicht allzu schwierig sein, das zu vermeiden; er wird normalerweise auch nicht
Mar-Pie befehlen wollen. Verlange auf jeden Fall die übliche entmilitarisierte Zone
zwischen Frankreich und Italien. Erzähl Frankreich, daß du Frieden willst, daß ein
Krieg zwischen Italien und Frankreich schwachsinnig ist (besonders für Italien), und daß
du unbedingt entmilitarisierte Zonen in Marseille, Piemont, Golf von Lyon, West Med und
Nordafrika sehen willst. Verlange vom Franzosen auch das Versprechen, in Marseille niemals
aufzubauen, solange es nicht absolut unumgänglich ist - und selbst dann nur Armeen
aufzubauen. Dein engagiertes und detailliertes Interesse an diesen entmilitarisierten
Zonen sollte den Franzosen überzeugen, daß es dir ernst mit dem Nichtangriffspakt ist.
Bitte währenddessen den Briten um Hilfe gegen Frankreich. Stelle heraus, daß Frankreich
einen Zweifrontenkrieg nicht gewinnen kann, und daß ein Zug der London-Flotte in den
Kanal jeden französisch-deutschen Versuch einer Sealion-Invasion verhindern wird.
Solltest du Deutschland um Hilfe bitten? Vielleicht. Du willst natürlich nicht, daß
Frankreich irgendetwas von deinem Plan mitbekommt, und Deutschland ist der heißeste
Kandidat, um das weiterzuerzählen - es möchte England und Italien nicht unbedingt
verbündet und auf drei Seiten seines Gebiets sehen. Außerdem hat Deutschland 1901 eine
eigene Taktik, weil es zuerst einmal die ihn umgebenden neutralen VZs erobern will. Wenn
du den deutschen Spieler darauf ansprichst, dann kundschafte nur seine Meinung zu dem
Thema aus und erwähne deine Zusammenarbeit mit England lieber nicht.
Frühjahrszüge 1901
England: F Lon-Eng
Italien: A Ven-Pie, A Rom-Ven, F Nap-Ion
Strategie im Herbst 1901
Wenn man davon ausgeht, daß Frankreich wie üblich Bre-MAt, Mar-Spa, Par-Bur (oder -Pic)
gezogen ist, muß er sich jetzt entscheiden, ob er Belgien und/oder die iberischen VZ
angreifen oder seine Heimatzentren verteidigen will. Egal was er tut, wenn er sich falsch
entscheidet, kostet ihn das einen Aufbau. Du und der Engländer könnt seine Beurteilung
der Lage durcheinanerbringen, indem ihr euch übertriebener Sorgen schuldig bekennt und
gute Absichten äußert, was ihn weiter verunsichern wird, ob ihr wirklich einen Angriff
auf ihn plant oder diesen fortsetzen wollt.
England sollte auf jeden Fall Brest angreifen. Die Frage für Italien ist, ob es Marseille
angreifen soll oder nicht. Ich werfe manchmal eine Münze, aber ich muß hinzufügen, daß
die meisten Spieler von der psychologischen Seite gesehen eher den Verlust des Aufbaus
für Spanien riskieren würden als eine italienische Armee in Marseille. Außerdem bewirkt
eine französische Armee in Marseille, daß dort keine Flotte aufgebaut werden kann.
Deshalb wird die beste Wahl vielleicht einfach ein Haltebefehl für die Armee in Piedmont
sein. Das erlaubt dir auch jederzeit, dich auf eine friedliche Haltung gegenüber
Frankreich zu berufen und ihn so noch etwas länger zu verunsichern.
Herbstzüge 1901
England: F Eng-Bre
Italien: A Pie H oder -Mar, F Ion-Tun, A Ven H oder -Pie
Aufbauten Winter 1901: im Winter baut ihr beide Flotten und greift Frankreich 1902 mit
voller Kraft an. Wenn Frankreich entweder bei Brest oder bei Marseille falsch geraten hat,
bekommt er nur einen Aufbau. Seine einzige Flotte sitzt vielleicht in Portugal fest, weit
weg vom Ort des Geschehens. Mit dieser Behinderung kann er nicht euch beide bekämpfen -
und wenn Deutschland auch noch mitmacht, wird er sogar noch schneller zusammenbrechen.
Bei der Aufteilung Frankreichs zwischen dir und England bilden die Gebiete Mittelatlantik
/ Gascogne / Burgund eine natürliche entmilitarisierte Zone, die eure Gewinne teilt - du
bekommt Por, Spa und Mar, der Engländer Bre, Par und Bel. Falls es ein Dreierangriff war,
bist du ebenfalls in der besten Lage, das Gerangel um die eroberten Zentren zu gewinnen:
du kannst dich mit England oder Deutschland zusammentun, um den anderen gemeinsam aus den
eroberten französischen Gebieten zu vertreiben, während es für England und Deutschland
schwierig ist, dir dasselbe anzutun, was vor allem an der oben erwähnten
entmilitarisierten Zone liegt.
Die Ostfront
Während du damit beschäftigt bist, Frankreich in Stücke zu schneiden, mußt du die
Grenze nach Osten stabil halten. Hier ist der Trick, mitzumachen, ohne hineingezogen zu
werden. Wenn du niemanden direkt bedrohst, wird jeder mit dir befreundet sein wollen.
Du wirst zwei Einheiten für den Osten brauchen - eine Armee in Venedig und eine Flotte im
Ionischen Meer. Das wird deine Nachbarn davon abhalten, dich als Ziel auszusuchen. Diese
Einheiten können eine Menge Verwüstung anrichten, ohne sich auch nur zu bewegen -
Einheiten nach Griechenland und Triest unterstützen, vorhergesehene Bounces arrangieren,
oder einfach gar nichts tun: solange Österreich dich nicht als Bedrohung betrachtet,
bedeutet das für ihn, daß er eine Einheit mehr hat, um anderswo einzugreifen, selbst
wenn du ihm nicht aktiv hilfst.
Dein Ziel: stelle sicher, daß auf dem Balkan keine Macht zu schnell zu stark wird. Falls
Rußland und die Türkei sich gegen Österreich wenden, komme Österreich zur Hilfe, wenn
die Türkei gierig wird, hilf Österreich und Rußland bei der Verteidigung.
Das Beste, was du tun kannst, ist, die Lage am kochen zu halten: ermutige Österreich,
sich mit Rußland zusammenzuschließen, und Rußland, ein Bündnis mit der Türkei
vorzugeben; dann ermutige Österreich, Rußland zu hintergehen und sich mit der Türkei
zusammenzutun; dann ermutige Rußland, mit der Türkei Frieden zu schließen und mit dem
treulosen Österreich abzurechnen, und so weiter. Wenn du es richtig anstellst, wirst du
bald die einzige Person sein, der irgendjemand in der Region vertraut.
Das kann die Region in Aufruhr halten, so daß sich über lange Zeit kaum stabile
Bündnisse bilden - lange genug für dich, um den Krieg im Westen zu gewinnen und mit
aller Kraft nach Osten zu ziehen. Aber falls nötig, kannst du dir einen Verbündeten
suchen und eine Lösung im Osten erzwingen - laß den Verbündeten die schwere Arbeit tun,
was dir wiederum genug Zeit bringt, deine Angelegenheiten im Westen zu regeln und dann im
Osten die entscheidende Kraft zu werden.
FAZIT
Da hast du es. Benutze Italiens Fähigkeit, einen Zweifrontenkrieg zu führen, um dich im
Osten zu verteidigen, während du im Westen Frankreich als englischen Verbündeten
ersetzt. Gebrauche aktive Diplomatie und überlegte militärische Eingriffe auf dem
Balkan, um zu verhindern, daß sich dort eine ernstzunehmende Macht entwickelt, bevor du
dafür gerüstet bist. Sehe klein aus, während du dich darauf vorbereitest, sehr, sehr
groß zu werden. Das ist ein Weg, als Italiener zu gewinnen.
Es würde mich interessieren, ob diese Diskussion andere Spieler dazu veranlaßt, ihre
eigenen Eröffnungen und Strategien für Italien vorzustellen. Vielleicht erlebt Italien
dann eine, hm, Renaissance in Diplomacykreisen!