Diplomacy - Strategie per E-Mail | Home Kontakt Impressum | ||||
|
|||||
Der Lepanto-Bluff |
ZURÜCK |
von Theo Kermanidis (theok@eisa.net.au)
ÜBERSETZT VON TIMO MÜLLER
Okay! Nun hast du den kurzen Strohhalm gezogen und spielst Italien. Großer Gott! Was
sollst du tun?
- Selbstmörderisch Österreich angreifen!
- Schauen, was auf dem Weg nach Iberien liegt. Auch schon mal gesehen.
- Um Gottes Willen, ein Lepanto. Gähn!
- Jodelnd in die Alpen ziehen! Oder kannst du nicht jodeln?
- Däumchendrehend daheim bleiben und auf den Pizzaservice warten!
Welche anderen Möglichkeiten gibt es? Naja, ehrlich gesagt, keine. Von allen Ländern im
Standard-Diplomacy ist für mich Italien das langweiligste. Falls du das nicht so siehst,
freut es mich für dich. Vor vielen Monaten habe ich in einer E-Mail-Partie diesen kurzen
Strohhalm gezogen und bin auf Italien sitzengeblieben. Ich habe eine Variation auf eine
Eröffnung herausgekramt, die mir überraschenderweise sogar einen gewissen Erfolg
beschert hat. Mir tat es etwas leid um das Opfer meines sehr exzellenten Verbrechens, aber
ich hätte alles darum gegeben, seinen Gesichtsausdruck zu sehen. Ich nenne diese Variante
den "Lepanto-Bluff".
HALTE DEINE TRUMPFKARTE VERSTECKT!
Wie du vielleicht inzwischen herausgefunden hast, basiert die Variation, die ich gespielt
habe, auf dem Lepanto. Wenn du Eröffnungszüge machst, die irgendwie nach einem Lepanto
aussehen, kann es die Türkei normalerweise meilenweit vorher sehen. Die eigentliche
Frage, die aufkommt: hat die Türkei Zeit, auf ein Lepanto zu reagieren? Sollte das
Lepanto scheitern, hat Italien die undankbare Aufgabe, sich eine andere Macht auszusuchen
und von einer nicht gerade idealen Startposition heraus anzugreifen, oder das gesamte
Spiel damit zu verschwenden, weiterhin Druck auf die Türkei auszuüben, der ohne
österreichische Hilfe nutzlos ist.
Nun überleg dir mal diese Möglichkeit: wie wäre es, wenn ein Lepanto kein Lepanto
wäre, sondern eine Tarnung für einen anderen teuflischen Plan? Das ist großartig! Aber
was rede ich hier? Ein Lepanto richtet sich auf die Türkei. Wenn das Lepanto kein Lepanto
ist, muß es sich auf jemand anderen richten als auf die Türkei. Natürlich kann das nur
Österreich sein. Die Türkei wäre glücklich mit dieser Situation. Der Druck auf den
Sultan wäre etwas weniger stark. Also...
Was wäre aber, wenn das "Lepanto, das kein Lepanto ist" kein Nicht-Lepanto
wäre? Es könnte sich um alles handeln. Darin liegt die Grundlage des Bluffs. Was rede
ich hier? Also, laßt uns weitermachen, dann wird es hoffentlich klar...
NICHT UNBEDINGT AM ANFANG
Wir nehmen unser erzähltes Spiel inmitten eines Lepanto-Angriffs auf. Die Position, die
normalerweise nach dem Frühjahrszug 1902 erreicht ist:
Die wichtigen Beobachtungen hier sind, daß Österreich sich mit dem Lepanto-Angriff
einverstanden erklärt hat, und daß die Türkei aggressiv gegen Rußland eröffnet hat.
Außerdem haben sich im Frühjahrszug die österreichische und die türkische Flotte in
der Ägäis geblockt. Alles ganz normal!
Damit der Lepanto-Angriff erfolgreich ist, muß Italien sich entscheiden, ob die Armee von
Tunis aus nach Smyrna oder nach Syrien konvoit wird. Die Türkei kann sich ebenfalls
entscheiden, wie sie sich verteidigt. Sie kann die Armee in Armenien entweder nach Smyrna
oder nach Syrien ziehen. Oder sie verteidigt beide Provinzen, indem sie die Flotte in
Konstantinopel nach Smyrna zieht und die Armee in Armenien nach Syrien. Egal! Was soll
diese ganze Analyse! Machen wir weiter mit dem Lepanto-Bluff!
Wir wollen nun die Zielrichtung vollständig ändern. Die folgenden Zügen werden jeden
verwirren:
Italien: F East-Aeg, Ion S F East-Aeg, A Tun H, A Ven H
Was im nächsten Zug gefolgt wird von
Italien: A Tun-Ion-Alb, F Ion C A Tun-Alb, F Aeg-Gre
Voila! Wir haben das Lepanto aufgegeben und greifen stattdessen Österreich an, wobei
Griechenland von drei italienischen Einheiten bedroht wird.
Der Italiener hat den Kurs komplett geändert. Er hat das Lepanto aufgegeben und
stattdessen Feindseligkeiten gegen Österreich begonnen. Die Türkei macht einen riesigen
Seufzer der Erleichterung und ist durch die italienische Wahl des Kanonenfutters sehr
ermutigt. Aber sie weiß nicht, daß Österreich nicht das eigentliche Ziel ist.
DIE TRUMPFKARTE AUSSPIELEN
Die Türkei fühlt sich gut. Österreich ist verärgert über dich. Was nun? Du handelst
ein Geschäft aus. Tu dich mit der Türkei zusammen. Die Türkei wird sich darüber
freuen, weil sie jetzt den Angriff auf Rußland ohne Bedenken fortführen kann (wozu du
sie auch sofort ermutigst). Österreich hat dir den gemeinsamen Untergang geschworen,
neben einigen ähnlich ausgeschmückten Phrasen. Was macht Italien jetzt? Es blufft jeden!
Italien: A Alb-Ion-Aeg-Smy, F Ion C A Alb-Smy, F Aeg C A Alb-Smy
Türkei: A Smy-Arm
Die Reaktion der Türkei: Aua!
Die Reaktion Österreichs: Was?
FAZIT
"Unmöglich", sagst du? Das habe ich auch gedacht... bis ich es versucht habe.
Ich konnte mich bei Österreich für die List entschuldigen, mich ein bißchen über den
geblufften Türken lustig machen, und die Eroberung der Türkei vollenden, wobei
Österreich ein starker Verbündeter blieb. Was kann man für Italien mehr verlangen?
Allgemein finde ich es schwierig, aus einem Lepanto Gewinn zu schlagen, wenn die Türkei
auch nur von einem halb-kompetenten Spieler gespielt wird. Falls Österreich nicht sehr
viel Unterstützung gibt oder die Türkei falsch spielt, hat es Italien schwer, die
Oberhand zu behalten. Indem zuerst der Türkei eine trügerische Sicherheit vorgegaukelt
wird, finde ich es viel einfacher, am Ende als Sieger dazustehen.
Natürlich gibt es keinen perfekten Plan und keine perfekte Zugfolge. Das liegt in der
Natur dieses großartigen Spiels. Hier habe ich nur eine von vielen Ideen vorgestellt, die
du zu deinem eigenen Fundus von Ideen hinzufügen kannst. Was du dann wirklich machst,
bleibt dir überlassen. Mach es nur nicht gegen mich.