Diplomacy - Strategie per E-Mail | Home Kontakt Impressum | ||||
|
|||||
Die große Pattlinie |
ZURÜCK |
von Martin Asal
Es ist doch immer wieder dasselbe: Da kämpft man alle anderen nieder, steht kurz vor dem Sieg - und wird im letzten Moment von so einem kleinen Hanswurst geblockt. Nichts geht mehr, etliche Einheiten stehen nutzlos rum. Das nennt man dann eine Pattlinie oder neudeutsch 'Stalemate'. Jeder, der schon mal in dieser Situation war, kennt und verflucht das: Stalemates sind ein Übel und sollten verboten werden! Man sollte eine neue Karte erfinden, auf der es keine einzige Pattlinie gibt! Der 'Hanswurst' sieht es ein klein bischen anders: Stalemates sind großartig! Sie bieten selbst dem Kleinsten noch Hoffnung! Warum sonst sollte man noch weiterspielen?
Natürlich sollte man Pattlinien erst suchen, wenn nichts anderes mehr geht - im Endspiel also. Allerdings gibt es häufig Spiele, in denen sich zwei oder drei Parteien einfach auf ein Unentschieden einigen, ohne einen theoretisch möglichen Endkampf auszutragen. Man hat sich eben während des Spiels so gut verstanden, dass man sich am Schluss nicht in die Haare kriegen will. Vor einigen Jahren wurde darüber bei Judge DEAC sehr kontrovers diskutiert. Ich persönlich habe für diese Einstellung Verständnis (habe auch schon selbst so gespielt) und möchte die Debatte jetzt nicht neu beleben. Ich erwähne es auch nur, um auf eines hinzuweisen: In solchen Spielen findet ein richtiges Endspiel nicht statt, man sollte eher von einem Spielabbruch reden. Zu Spielabbrüchen, an denen mehr als zwei Spieler beteiligt sind, kommt es auch, wenn der oder die stärksten Spieler befürchten, ihre gute Stellung wieder zu verlieren bzw dem anderen Spieler mit guter Stellung dadurch zum Sieg zu verhelfen. Sie sind sich also unsicher, ob sie rechtzeitig ein Stalemate aufbauen können.
Nun gibt es ja etliche Stalemates, und ich will jetzt nicht alle aufzählen (an anderer Stelle wurde das schon versucht). Mir geht es um die große Pattlinie:
Diese Stellung ergibt ein 2er-Draw und kann unter beliebigen Mächten zustandekommen: Im Westen kann E, F oder G stehen, im Osten R, T, A oder I. Eine Überprüfung der JDPR-Datenbank ergab, dass 31 Prozent aller 2er-Draws mit der sich daraus ergebenden Verteilung der VZs enden. In 34 Prozent der Alleinsiege hatte der Sieger alle VZs auf einer Seite der Linie. Wer das Spiel bestimmen will, muss also diese Linie kennen!
Oft gibt es zu Anfang eines Spiels zwei fast unabhängig voneinander funktionierende Kriegsschauplätze: Benelux im Westen und den Balkan im Osten. Und siehe da: die oben als 'westliche Mächte' bezeichneten Nationen gruppieren sich um Benelux, die 'östlichen' um den Balkan (Auch wenn diese Darstellung grob vereinfachend ist und man nie 'das große Ganze' aus den Augen verlieren sollte). Möglicherweise ist das eine Erklärung für die Häufigkeit der 'großen Pattlinie': Auf jeder Bretthälfte gilt: Es kann nur einen geben! ;-) Die oft diskutierten Bündnisse zwischen R/T, E/F und A/I liegen dagegen immer auf einer Seite der Linie, ein Zweierdraw zwischen ihnen ist also ziemlich unwahrscheinlich. Es muss mindestens eine weitere Nation auf der anderen Seite am Draw beteiligt oder die Allianz gebrochen werden. Wie schon angedeutet, kann die große Pattlinie nicht nur im Zusammenhang mit trauter Zweisamkeit auftauchen; sie kann genau so gut auch einen flotten Dreier (oder noch mehr) zulassen. Dann müssen sich die Spieler auf einer Seite der Linie eng und vertrauensvoll abstimmen, als wären sie nur eine Nation - ein schwieriges Unterfangen.
Betrachtet man die große Pattlinie einmal näher, stellt man fest, dass sie eigentlich aus drei unabhängig voneinander funktionierenden 'Teil'linien besteht:
Die Kontrahenten werden selten überall gleichzeitig eintreffen, sondern die drei Frontabschnitte nacheinander 'erarbeiten'. Jeder davon hat seine Besonderheiten:
St. PetersburgZieht eine westliche Nation gegen Stp zu Felde, kann sie in Bar, Nor, Fin und Bot bis zu vier Einheiten aufbauen, während die Gegenseite hinter Stp nur Mos und Lvn zum Schutz hat. Stp kann also immer vom Westen erobert werden - vorausgesetzt, man hat genügend Einheiten. Anschließend ist es aber unmöglich, ohne Unterstützung von Süden weiter vorzurücken - gegen Mos und Lvn stehen sich mit Stp und Bot gleich starke Kräfte gegenüber. Der Versuch ist eher zwecklos und selbst eine eventuelle Eroberung von Lvn kann leicht wieder zurückgedrängt werden. Man kann also nach der Eroberung von Stp seine Kräfte getrost für sinnvolleres einsetzen - es sei denn, man schafft es, Mos und War zu erobern. Hat man diese beiden, stößt man gleich wieder auf das nächste Stalemate.
Aus östlicher Sicht ist Stp etwas komplexer: Sofern wir von Russland als östlicher Nation sprechen, stellt sich Stp ganz anders dar als für die anderen 'östlichen Mächte': Sankt Petersburg ist ein russisches Heimat-VZ. Daher ist Russland als einzige östliche Nation in der Lage, Flotten in den Nordmeeren einzusetzen. Die anderen östlichen Nationen müssten dazu erst mal durchs Mittelmeer und den Atlantik; wahrscheinlich haben sie vorher schon zweimal das Spiel gewonnen, ehe sie dort ankommen. Russland hingegen kann sich auch noch aussuchen, an welcher Küste es eine neue Flotte aufbaut - für die westliche Macht stellt das schnell eine erhebliche Gefahr dar.
Andere Ostnationen haben dagegen keine Chance, Stp zu halten - selbst wenn sie von dort noch eine Armee weiter vorschieben können, kann der Westen sie leicht wieder aufreiben.
DeutschlandAuch dieser Frontabschnitt führt mitten durch die Heimatgebiete einer Nation. Und auch hier ergibt sich daraus wieder eine Besonderheit: Alle deutschen Heimat-VZs müssen mit Einheiten besetzt werden, so dass Deutschland keine neuen Einheiten aufbauen kann. Seltsamerweise scheint Deutschland so etwas besser zu verkraften als andere Nationen. Eine Erklärung dafür habe ich aber nicht.
MittelmeerNeben der oben dargestellten Pattlinie ist im Mittelmeer auch die nebenstehende Variante möglich. Dabei ist egal, wer Tun hält und ob in Spa bzw Mar Flotten oder Armeen stehen, es ist auf jeden Fall ein Patt.
Das Mittelmeer hat ganz besonderen Tücken: Es wimmelt nur von Pattlinien (Mat, Ion, Aeg), und wer dort das Spiel bestimmen will, sollte daher darauf achten, möglichst früh möglichst Tempo zu machen, solange nicht zu viele Flotten unterwegs sind. Aber genau das ist das Problem: Ein intelligenter Franzose wird kaum Interesse haben, zu Beginn gegen Italien zu ziehen, Österreich ist traditionell das Land mit den wenigsten Flotten, Russland hat gar keinen direkten Zugang. Es bleiben also Italien oder die Türkei, und zwischen diesen beiden kommt es bekanntlich häufig zu Auseinandersetzungen. Der Sieger hat dann schon etliche Flotten und ist im Mittelmeer der Platzhirsch. Gegen ihn durchzubrechen ist nach meinen Erfahrungen kaum möglich - man kann ihn höchstens stoppen.
Wenn man aber selbst dieser Platzhirsch ist, kann man darauf hinarbeiten, Mar und Spa zu bekommen. Dazu ist es unbedingt erforderlich, zugleich Flotten in Wes und Gol zu haben - das kann sogar wichtiger sein, als auf die schnelle Tun zu erobern - Tun fällt einem dann ganz von allein zu. Wenn die Eroberung von Mar und Spa geklappt hat, ohne dass man auch nach Mat ziehen konnte, steht man aber auch gleich wieder vor dem nächsten Stalemate: Gegen 3 Flotten in und um Mat gibt es kein Mittel.
Eine VarianteDie große Pattlinie lässt auch eine kleine Variante zu: Die Ostmacht kann auch noch Mar und Spa erobert haben, die Westmacht War und Mos. Dann muss man aber R als westliche Nation betrachten - und plötzlich wird ein Zweierdraw zwischen R und T möglich!
Diese Variante ist aber weitaus seltener anzutreffen als die obengenannte 'Reine Lehre'. Dennoch sollte sie nicht unerwähnt bleiben.
Anhang: Auswertung der JDPR-DatenbankDie obenerwähnten Auswertungen der JDPR-Datenbank erfolgte am 1. März 2002 mit den Standardeinstellungen des Formulars 'Games', mit folgenden Ausnahmen:
Variant: Standard; Option: None
Proxy: No; DIAS: Yes
Für 'Game Result' und 'Final center ownership pattern' wurden mit den folgenden Einträge diese Ergebnisse erzielt:
Game Result | Regular Expression | Ergebnis | Prozent |
---|---|---|---|
Solo | . | 1840 | 100% |
....AAAAAAAAAAAAAAAAA............. | 377 | 34% | |
AAAA.................AAAAAAAAAAAAA | 245 | ||
2WD | . | 158 | 100% |
AAAA.................AAAAAAAAAAAAA | 49 | 31% |
Mein Dank gilt Alain Tesio, der eigens für diese Auswertung neue Auswertemöglichkeiten geschaffen hat.