Diplomacy - Strategie per E-Mail | Home Kontakt Impressum | ||||
|
|||||
William and Mary oder: der Flemish Sealion |
ZURÜCK |
von Maarten Oosten (Oosten@math.unimaas.nl)
ÜBERSETZT VON SEBASTIAN BEER
Eine Eröffnung besteht prinzipiell aus einem taktischen Konzept, das um ein
diplomatisches Grundgerüst herum errichtet wurde. Sie sollte nach Möglichkeit nicht auf
den Spieler zurückfallen; es ist nämlich nicht sonderlich angenehm, wenn nach einem
spektakulären Blitzstart der Rest des Brettes darin übereinstimmt, dass man selbst
sowohl "gut" als auch "gefährlich" ist. Ebenso ist es nicht ratsam,
sofort die Effizienz einer Allianz aufzuzeigen. Das würde nämlich nicht nur zu etlichen
"ooohs" und "aaahs" führen, sondern die betreffende Allianz wäre von
Anfang an Feindbild und das Bündnis, das es zu schlagen gilt. Das heißt, daß ich 1901
nicht nur versuche, mir keine Feinde zu schaffen, sondern auch darauf achte, beabsichtigte
Allianzen so lange wie möglich geheim zu halten und gegenseitige Unterstützungen so
lange wie möglich zu vermeiden, mindestens aber 1901.
Edi Birsan ist, neben vielen anderem Dingen, auch dafür bekannt, ein berühmtes
Eröffnungsszenario erfunden zu haben, das Lepanto. Im Spring Movement Issue 1997 des
Diplomatic Pouch brachte er eine Analyse des Sealion (deutsch)
heraus. Diese Zweier-Eröffnung läuft auf folgendes hinaus: ein neutrales Russland und
ein freundliches Italien vorausgesetzt, vereinigen sich die deutsch-französischen
Streitkräfte, um den Englischen Kanal und die Nordsee zu erobern. Sobald F/D diese Meere
beherrschen, haben sie leichtes Spiel mit England.
Für mich war der Artikel sehr interessant. Er scheint ein Verwandter des Lepanto zu sein.
Wie das Lepanto hat er zum Ziel, schon in einer frühen Phase des Spiels eine der beiden
Hexen (England/Türkei) auszuschalten. Und ebenso wie das Lepanto besteht die Eröffnung
aus zwei Phasen: die Inbesitznahme der erforderlichen Seeprovinzen, gefolgt von der
tatsächlichen Invasion des gegnerischen Territoriums.
In diesem Artikel möchte ich eine Alternative zum Sealion vorschlagen, für den Fall,
daß das diplomatische Umfeld anders ist als vorausgesetzt. Die Eröffnung läuft auf
Folgendes hinaus:
Ein freundliches Russland und ein <i>feindliches Italien einmal vorausgesetzt,
eröffnet Deutschland zunächst anscheinend gegen Frankreich, während Frankreich richtung
Süden eröffnet. 1902 vereinigen Frankreich und Deutschland ihre Flotteneinheiten um den
Englischen Kanal und die Nordsee zu erobern. Sobald F/D diese Meere beherrschen, haben sie
leichtes Spiel mit England.
Obwohl auch dieses Szenario auf einem angenommenen F/D gegen E beruht, ist es dennoch mehr
als nur eine Variante von Edi Birsans Eröffnung. Völlig unterschiedliche diplomatische
Rahmenbedingungen erfordern eine Anpassung des taktischen Konzeptes. Und zumindest das ist
mein Anspruch.
Rußland ist freundlich, also sollte Deutschland den Zaren eher nicht durch F Kie-Den im
Frühjahr 1901 verärgern. Es ist unbedingt erforderlich, die Flotte in Kiel in die
Nordsee zu verlegen, nicht Dänemark zu nehmen. Also verschafft man dem Zar etwas Luft und
eröffnet nach Holland.
Italien ist feindlich gesonnen, deshalb wird sich Frankreich auf den Süden konzentrieren,
um die plündernden römischen Horden zu bekämpfen, während die Iberische Halbinsel
erobert und verteidigt wird.
Frühjahr 1901
England
F Lon-Eng
F Edi-Nth
A Liv-Yor
Frankreich
F Bre-Eng
A Par-Gas
A Mar-Spa
Deutschland
F Kie-Hol
A Mun-Ruh
A Ber-Kie
Herbst 1901
England
F Lon-Eng
F Nth C A Yor-Nwy
A Yor-Nth-Nwy
Aufbau F Lon
Frankreich
F Bre-MAt
A Gas-Mar
A Spa-Por
Aufbau F Bre
Deutschland:
F Hol-Bel
A Ruh-Hol
A Kie-Den
Aufbau F Kie, A Mun, A/F Ber
Nach diesem Jahr beherrscht also noch England die Meere, und ist sich der anti-englischen
Eröffnung vielleicht gar nicht bewußt. Im Frühling 1902 erobert Frankreich Spanien, und
hat eine ausreichende Verteidigung in Iberien installiert. Im Herbst bekommt England es
mit vier feindlichen Flotten zu tun, und das ist zuviel. F/D nehmen zunächst Eng und dann
Nth. Dadurch kann England eventuell Eng wieder zurückerobern, woraufhin sich die Flotte
allerdings nach Wal/Iri zurückzieht. 1903 ist die Verteidigung des Briten
zusammengebrochen. 1905 sollte England besiegt und ausgeschieden sein.
Die entscheidende Einheit ist dabei die erste deutsche Flotte, die nach Hol gezogen wurde.
Anstatt den Zaren durch Kie-Den zu verärgern, schicken wir sie über Holland nach
Belgien. Das hat mehrere Vorteile:
1. In Belgien hat die Flotte Zugang zu beiden anvisierten Seeprovinzen.
2. Die Flotte macht einen theoretisch denkbaren Angriff Deutschlands auf Frankreich
unmöglich, da sie keinen Zugang zu Provinzen wie Bur und Par hat. Frankreich wird sich
sicher fühlen.
3. Einige Spieler denken, F Kie-Hol (und vor allem Hol-Bel) sei gegen Frankreich
gerichtet. Wenn dieser Gedanke am Brett die Runde macht, umso besser!
4. Deutschland muß seinen dritten Aufbau nicht nutzen (er müßte eigentlich Hol gar
nicht zwingend erobern), er kann anbieten, für das Bündnis auf einen Aufbau zu
verzichten, oder die Einheit im Süden gegen Italien einzusetzen.
Eine wichtige Bemerkung am Rande: nachdem England eliminiert ist, kann Deutschland
keinesfalls Flotten aufbauen, ohne dadurch das Vertrauen Frankreichs zu verschenken.
Deswegen ist es für Deutschland vielleicht überlegenswert, im Winter 1901 zwei Flotten
aufzubauen.
ZUR NAMENSGEBUNG...
Edi Birsan hat sich entschieden, seinen Eröffnungsvorschlag den Sealion zu nennen, nach
einem deutschen Invasionsplan für England im Zweiten Weltkrieg. Darum könnte ich meine
Eröffnung folgerichtig den "Flemish Sealion" nennen. "Flemish", da
die Flotte in Belgien eine zentrale Rolle darin spielt. Außerdem ist der Flämische Löwe
ein bekanntes heraldisches Symbol. Aber da ich darauf bestehe, daß die Eröffnung keine
Variante des Sealion darstellt, sondern ein eigenes Eröffnungsszenario, sollte der Name
vielleicht nicht auf den Sealion verweisen. (Außerdem mag ich den Namen
"Seelöwe" nicht allzu sehr, das aber nur am Rande.) Im Gegensatz zu Lepanto
erinnert der Name nämlich nicht an an eine Allianz, und der echte Sealion war auch nicht
erfolgreich. Vielleicht bin ich ein wenig abergläubisch, aber ich denke, das wäre ein
schlechtes Omen.
Wie wär's mit "William and Mary"? Die beiden sind in Holland gestartet, haben
ihre Armee in Flandern eingeschifft, und mit ihrer Invasion König Charles II. weit bis
nach Irland hinein getrieben. Sie haben also nicht nur den Plan gefaßt, England zu
erobern, sie haben ihn auch erfolgreich ausgeführt; und sie waren ein Paar...
Edi Birsan hat diesen Artikel gelesen und hatte nützliche Kommentare dazu, die einige
Eigenheiten der Eröffnung beleuchten:
"Ein prinzipielles Problem dieser Eröffnung ist, daß Frankreich mit den drei
Aufbauten seines deutschen Alliierten einverstanden sein muß, und dabei selber nur einen
Aufbau bekommt. Alleine diese Tatsache zeigt dem restlichen Brett, wie sehr der
französiche Spieler vom Deutschen offensichtlich dominiert wird. Und dies wird wohl nicht
so einfach hingenommen werden. Ich bezweifle, daß das Ergebnis dieser Züge nicht
Rußland oder eine andere östliche Macht dazu bringen wird, ein oder zwei Einheiten in
den Westen zu schicken, um den Vorteil des Deutschen wett zu machen. Außerdem hat der
französische Spieler durch dieses Bündnis keine zählbaren Zugewinne. Man müßte die
Aufteilung der Insel diskutieren, und wenn das geschieht, gerät der Deutsche in eine
Situation, in der es für ihn keinen Vorteil mehr darstellt, die Eroberung der Insel
fortzusetzen, da er die Mehrzahl der Zentren an Frankreich abtreten müßte, es sei denn,
der Franzose ist aus irgendeinem Grund an diesen Zentren nicht interessiert. Der Vorteil
des Sealion ist, daß beide Spieler im ersten Jahr zwei Einheiten aufbauen; sie bekommen
auch beide jeweils zwei englische Zentren, sind daher als Allianz besser ausbalanciert und
können sich gegenseitig bei Verhandlungen mit den anderen Spielern unterstützen. Der
Flemish Sealion macht Deutschland zur westlichen Supermacht, und konzentriert sämtliche
diplomatischen Bemühungen des Ostens auf ihn."
Meine Kommentare dazu:
1. In einer funktionierenden F/D-Allianz sollte Deutschland ein wenig stärker sein als
Frankreich, da er der prinzipiell Verletzlichere dieses Paares ist. Natürlich ist es
nicht so leicht, Frankreich davon zu überzeugen, da einige Spieler zwar davon überzeugt
sind, daß Deutschland tatsächliche den schwereren Stand in Europa hat, jedoch nichts vom
Ausgleich dieser Schwäche halten. Andererseits ist Frankreich vielleicht eher zu
überzeugen, wenn es erst einmal mit einem feindlichen Italien und einer Deutschen Flotte
in Bel konfrontiert wird, während es versucht, die anstürmenden Deutschen aus Bur
herauszuhalten.
2. Wenn durch das rasch wachsende Deutschland der Zar im Westen interveniert, dann sollte
das Frankreich kein Kopfzerbrechen bereiten. Deutschland sollte sich darüber eher
Gedanken machen.
Ich denke, daß die "William and Mary"-Eröffnung eine legitime Alternative zum
Sealion ist.
Vielleicht muß Frankreich, indem es diese Eröffnung benutzt, den Wunsch, gegen England
zu eröffnen, nicht unbedingt aufgeben, nur weil der Italiener unbedingt nach Westen
ziehen will.