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Die Geographie ist das Schicksal
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Wie die Standardkarte Schicksale und Strategien diktiert

von Paul D. Windsor (diplawmacy@wideopenwest.com )

ÜBERSETZT VON TIMO MÜLLER
 

Ich verbringe zwar viel Zeit damit, über das Diplomacy-Spiel nachzudenken und die Positionen auf der Standardkarte zu untersuchen, aber ich habe mir nie viele Gedanken über die Grundgestaltung der Karte und die Art und Weise, wie sie sich auf die einzelnen Mächte auswirkt, gemacht. Natürlich habe ich gelesen, was andere über Stalemate Lines, Schlüsselgebiete und erfolgreichste Mächte geschrieben haben, aber ich rede über etwas noch Grundlegenderes als das: wie die Lage jeder Macht im Kontext der Standardkarte ihre Kraft, ihren Einfluß und ihr Schicksal im Spiel bestimmt. Es gibt eine Schule von Historikern, die denken, daß die Geographie das Schicksal ist. Ich habe beschlossen, mich mit einer leeren Standardkarte hinzusetzen und zu versuchen, sie einer grundlegenderen Untersuchung darüber, wie und warum sie die Schicksale der verschiedenen Mächte formt, zu unterziehen.

Meine Methode basiert hauptsächlich auf dem Caissas Konzept des "Tempos", um die durch die Karte begründeten Beziehungen zwischen Mächten zu beschreiben. (Ein Tempo ist definiert als der Zug einer Einheit von einer Provinz in eine andere). Ich versuchte erst zu bestimmen, welches die Mindestzahl von Tempi ist, die eine Macht benötigt, um von seinen Heimatzentren aus 15 andere zu erreichen (im Fall Rußlands 14). Mit anderen Worten, was ist das Tempo, das jede Macht mindestens für einen schnellen Sieg benötigt? Dann benutzte ich diese Information des "effektivsten Weges zum Sieg", um bestimmte anderen Daten über die Einfluß- und Kampfbereiche zu bestimmen, in der Annahme, daß diese Beziehungen ihr Verhalten gegenüber den anderen und mögliche Ergebnisse steuern würden. Als letzten Schritt fügte ich meiner Analyse "bekannte" Tatsachen hinzu, die von anderen erforscht wurden, beispielsweise Stalemate Lines.

Viele der Schlußfolgerungen unterstützen gewohnte Weisheiten, aber ich denke, daß es sich lohnt, zu erklären, wie meine Analyse die Gründe, warum gewohnte Weisheiten richtig sind, herausstellt. Andererseits widerlegt eine bedeutende Zahl der hier vorgestellten Schlußfolgerungen gewohnte Weisheiten. Ich denke, daß in diesen Fällen gewohnte Weisheiten eine Neubewertung gebrauchen könnten.


DER SCHNELLSTE WEG ZUM SIEG...

Unten habe ich jede Macht und ihren schnellsten Weg zum Sieg aufgelistet, wie er durch die Tempi, die für den Marsch/die Fahrt von ihren Heimatzentren zu der für den Sieg benötigten Mindestzahl anderer VZs gebraucht werden, vorgegeben wird.

Macht Zentren erreichbar in ... Tempi
ges.
1 Tempo 2 Tempi 3 Tempi 4 Tempi
Österreich Ser, Rum, Ven Rom, Mun, War, Sev Tun, Mar, Kie, Ber, Mos, Nap, Con - 33
England keine Bre, Bel, Hol, Den, Nwy Swe, StP, Kie, Par, Spa, Por Mar, Mun, Ber, Mos 44
Frankreich Spa Lon, Bel, Mun, Ven, Por Liv, Edi, Nwy, Den, Hol, Kie, Rom, Nap, Tun, Tri, Ber - 38
Deutschland Hol, Den Mar, Par, Bel, Swe, War, Vie, Tri, Ven Spa, Bre, Lon, Edi, Nwy, StP, Mos, Rum, Sev, Rom, Bud - 33
Italien Tri Mar, Tun, Mun, Vie, Bud, Ser, Gre Spa, Kie, Ber, Rum, Bul, Con, Smy - 36
Rußland Rum, Nwy Swe, Ber, Mun, Vie, Bud, Ser, Gre Spa, Kie, Ber, Rum, Bul, Con, Smy - 36
Türkei Bul Sev, Rum, Ser, Gre Tun, Nap, Tri, Bud, Mos War, Vie, Rom, Ven, StP, Mar, Mun, Spa, Nwy 44

(Anmerkung: diese Gesamtergebnisse scheinen sich leicht von denen zu unterscheiden, zu denen Stephen Agar in seinem Artikel über die Erstellung von Karten, der im Fall Movement Issue 1998 des Pouch Zines veröffentlicht wurde, gekommen ist, aber ich werde in diesem Artikel mit meinen eigenen Ergebnissen arbeiten.)

Die Spannweite der Ergebnisse ist wirklich überraschend (jedenfalls für mich). Die langsamsten Mächte, die Türkei und England, müssen zum Sieg 66 Prozent mehr Tempi zurücklegen als die schnellste Macht, Rußland. Das ist ein riesiger Unterschied hinsichtlich der Ausgangsposition eines Spiels, das sich der Chancengleichheit rühmt. Es festigt aber die Ergebnisse anderer Bemühungen, durch verschiedene Datensätze über Spielergebnisse zu analysieren, welche Macht am stärksten ist (vergleiche auch das Winter Adjustment Issue 1995 des Pouch Zines, in dem zwei Artikel die zu dieser Zeit verfügbaren statistischen Daten über die Siege der verschiedenen Mächte in verschiedenen Spielsystemen untersuchen). Rußland rangiert ständig an oder nahe der Spitze in den Siegerlisten dieser Analysen. Der große Vorteil des russischen Eröffnungspotentials, gemessen an den für den Sieg benötigten Tempi, scheint ein wichtiger Faktor für sein häufiges Auftreten als Siegermacht zu sein. Interessanterweise sind es, obwohl die Türkei und England auf der Liste durchgehend weiter unten auftauchen, die nächsten drei Mächte im Vergleich des Eröffnungspotentials nach Tempi, die ständig am oder nahe dem Ende in der Siegerliste stehen.

Hier möchte ich noch einmal erwähnen, daß in zwei statistischen Spielanalysen, die im Winter Adjustment Issue 1995 des Pouch erschienen sind, die Mächte wie folgt eingestuft waren:

Artikel Diplomacy Skill Index von Conrad Minshall (Statistik für alle Partial-Press-Partien, die zu diesem Zeitpuntk erfaßt waren)

Macht nach Siegen nach Ergebnis nach Überleben
Österreich 5. Platz 5. Platz 7. Platz
England 2. Platz 1. Platz 2. Platz
Frankreich 3. Platz 2. Platz 1. Platz
Deutschland 6. Platz 6./7. Platz (gleich) 6. Platz
Italien 7. Platz 6./7. Platz (gleich) 5. Platz
Rußland 1. Platz 3. Platz 4. Platz
Türkei 4. Platz 4. Platz 3. Platz

Artikel Lies, Dam Lies and Diplomacy von Matthew Self (Statistik für alle Spiele, unabhängig von der Art der Presse)

Macht nach Siegen nach Ergebnis nach Überleben
Österreich 3. Platz 5. Platz 4. Platz
England 5. Platz 2./3. Platz (gleich) 2. Platz
Frankreich 1. Platz 1. Platz 1. Platz
Deutschland 6. Platz 6. Platz 6. Platz
Italien 7. Platz 7. Platz 7. Platz
Rußland 2. Platz 2./3. Platz (gleich) 5. Platz
Türkei 4. Platz 4. Platz 3. Platz

Wir sehen, daß die Mächte nach diesen Statistiken erstaunlich übereinstimmend abschneiden. Es scheint, daß, ob mit oder ohne Presse, und egal, wie man es bewertet, Deutschland und Italien die beiden schlechtesten Länder sind. Frankreich, England und Rußland streiten sich um den ersten, zweiten und dritten Platz, aber Rußlands Stärke scheint in den Siegen zu liegen, während England und Frankreich häufiger überleben und an viel mehr Draws beteiligt sind. Die Türkei ist konstant auf dem vierten Platz und Österreich konstant auf dem fünften. Interessant ist, daß Österreich, wenn man auch No-Press-Partien berücksichtigt, plötzlich eine viel beeindruckendere Macht wird, die viel häufiger gewinnt oder überlebt, während Englands Siegchancen dramatisch fallen. Anscheinend ist England eine Macht für Diplomaten und Österreich eine für Generäle.

Eine gewohnte Weisheit, die diese Zahlen zu unterstützen scheinen, ist, daß das gefürchtete russisch-türkische "Juggernaut"-Bündnis eher Rußland begünstigt als die Türkei. Die Tempo-Zahlen enthüllen wahrscheinlich, warum. Wenn beide Mächte mit höchstmöglicher Geschwindigkeit vorgehen, wird sich Rußland schneller bewegen als die Türkei, weil der Weg zu neuen VZ kürzer ist als bei der Türkei. Man kann die Gesetze der Physik nun mal nicht ändern.

Nicht alle gewohnten Weisheiten über die Kräfteverhältnisse der Mächte zueinander können aber durch die Tempo-Zahlen erklärt werden. Zum Beispiel scheinen Italien und Deutschland größere Siegchancen zu haben als Frankreich, die Türkei und England, wenn wir unsere Analyse nur auf die Anzahl der für den Sieg nötigen Tempi beschränken. Wir wissen aber aus der Praxis, daß das in E-Mail-Partien nicht der Fall ist, also wirken hier andere Faktoren ein. Wir müssen die Gestaltung der Karte gründlicher erforschen als nur mit dieser einen einfachen Statistik.


... IST ER EINE GERADE LINIE?

Es gibt zwei Aspekte, die die "wirksamsten" 18-VZ-Siege mehr oder weniger wirksam machen. Sie werden unten beschrieben.

1. Wieviele "Extra"-Zentren sind in der Summe der erreichbaren VZ eingeschlossen, oder, um es etwas anders auszudrücken, wieviel Flexibilität hat die Macht, verschiedene VZ anzugreifen, ohne daß der Weg zum Sieg dadurch länger wird?

2. Wieviele der 18 Zentren, die für den wirksamsten Sieg nötig sind, sind auf der "falschen" Seite einer bedeutenden Stalemate Line, die sie von den Heimatzentren der Macht trennt? (Ich werde Stalemate Lines in diesem Artikel nicht tiefgründig definieren oder diskutieren. Es gibt viel zu gute Artikel über Stalemate Lines, die hier im Pouch veröffentlicht worden sind, als daß ich sie verbessern oder etwas hinzufügen könnte.)

Die beiden Fragen hängen zusammen, da VZ auf der anderen Seite einer Stalemate Line viel schlechter erreichbar sein können als entferntere VZ und daher oft gegen diese ausgetauscht werden. Falls dieser Austausch vom wirksamsten Weg abweicht, wird der Weg zum Sieg für die Macht länger, als es zuerst den Anschein hat.

Macht Anzahl der Versorgungszentren, die ...
in der Tempi-Zählung aufgelistet sind, aber nicht unbedingt benötigt werden auf der anderen Seite einer Stalemate Line liegen, aber zum Sieg benötigt werden
Österreich 1 3-5
England 1 1-2
Frankreich 2 0
Deutschland 4 3-4
Italien 0 3
Rußland 6 0
Türkei 4 1-2

Die hier aufgeführten Zahlen zeigen die mitgezählten VZ, die auf der anderen Seite einer bedeutenden Stalemate Line liegen könnten. Hier sehen wir, daß die Mittelmächte, Österreich, Deutschland und Italien, alle in ernste Schwierigkeiten geraten, weil ihre wirksamsten Siege eine bedeutende Ausdehnung über die wichtigste Nord-Süd-Stalemate Line verlangen. Darüber hinaus haben Österreich und Italien wenig oder gar keine Flexibilität, andere VZ anzugreifen, ohne daß sie dafür weiter entfernte VZ aussuchen müssen. Die Auswirkungen auf England und die Türkei sind weniger schwer. Frankreich und Rußland sind von dieser Analyse überhaupt nicht betroffen, weil jede Macht auf beiden Seiten der Stalemate Line aufbauen kann. Es ist sehr wahrscheinlich kein Zufall, daß Frankreich und Rußland konstant an der Spitze der statistischen Diplomacy-Analysen liegen. Man könnte schließen, daß nicht von Stalemate Lines behindert zu werden mindestens so wichtig ist wie nicht von großen Entfernungen behindert zu werden.

Wenn wir nun die Liste der von jeder Macht zum Sieg benötigten VZ modifizieren und davon ausgehen, daß möglichst viele VZ auf einer Seite der Stalemate Line erreicht werden, bekommen wir die folgenden Ergebnisse:

Macht Versorgungszentren, die in der Liste... Tempi zum Sieg
gestrichen werden addiert werden vorher jetzt
Österreich Mun, Ber, Kie (8 Tempi) Con, Ank, Smy (11 Tempi) 33 36
England keine Modifikation möglich 44 44
Frankreich keine Modifikation nötig 38 38
Deutschland Mar, Vie, Tri, Ven (8 Tempi) vier aus der letzten Liste (12 Tempi) 33 37
Italien Mun, Kie, Ber (8 Tempi) Ank, Sev, War (12 Tempi) 36 40
Rußland keine Modifikation nötig 29 29
Türkei keine Modifikation möglich 44 44

England und die Türkei können ihre Zahlen in dieser Analyse einfach nicht verbessern. Sie werden immer ein VZ für ein anderes, das auf der anderen Seite der Stalemate Line liegt, eintauschen müssen. Die Mittelmächte verlieren alle an Boden hinsichtlich der Wirksamkeit durch Tempi, und Rußland und Frankreich, die auf beiden Seiten der Stalemate Line aufbauen können, werden von dieser Analyse nicht berührt, aber verbessern sich im Vergleich zu den Mittelmächten, weil sich ihre Zahlen einfach nicht verändern.

Nach dieser Modifizierung sind die für den Sieg wahrscheinlich benötigten, aber nicht wirksamsten, Tempi für jede Macht in der Tabellenspalte ganz rechts aufgeführt. Daran sehen wir, daß die Mächte, ausgenommen Rußland, viel enger zusammenliegen, was die für den Sieg benötigten Tempi, die (zumindest theoretisch) auf dem Weg des geringsten Widerstands liegen, angeht. Rußland ist immer noch eine bemerkenswerte Ausnahme und liegt weit vor Österreich, der Nummer Zwei in Tempi-Wirksamkeit. Falls die Spiele durchgehend durch das Tempi-Potential entschieden würden, würden wir in der Siegerstatistik Deutschland, Österreich und Frankreich knapp hinter Rußland erwarten. Wir wissen aber, daß, obwohl Frankreich Rußland in den Ergebnissen der E-Mail-Partien auf den Fersen ist, Deutschland normalerweise eher nahe dem Ende der statistischen Ergebnislisten steht und daß Österreich traditionell schlecht abschneidet (obwohl sich sein Abschneiden in No-Press-Partien verbessert).

Warum diese Abweichung? Österreich hat Nachteile, die in der Karte begründet liegen, aber in dieser Analyse nicht auftauchen. Der wichtigste von ihnen ist, daß Österreich mit nur einer einzigen Flotte beginnt und die einzige Macht mit nur einem Hafen ist. Außerdem liegt dieser Hafen direkt neben einem feindlichen Heimat-Versorgungszentrum, wodurch es viel wahrscheinlicher wird, daß er während der Aufbauphase von einer verteidigenden Einheit besetzt ist. Es ist für Österreich enorm schwierig, viel schwieriger als für jede andere Macht, eine Flotte aufzubauen. Folglich scheint das Ziel, mit den wenigstmöglichen Tempi zum Sieg zu kommen, reines Wunschdenken zu sein, denn wie oben beschrieben beruht es darauf, Marseille und Tunis zu erobern und zu halten oder deutsche Zentren zu erobern, um mit Flotten gegen die türkischen Zentren vorzugehen. Falls Österreich diese entfernten südlichen Küstenzentren aber nicht erobert, wird es viele Zentren auf der anderen Seite der Nord-Süd-Stalemate Line benötigen, um den Sieg zu erreichen.

Also muß Österreich, trotz der Tatsache, daß es nach der oben aufgestellten Tabelle ein größeres Siegpotential hat als alle anderen Nationen außer Rußland, bedeutende natürliche Hindernisse zu überwinden, egal, welche Stoßrichtung es für den Sieg wählt. Im Norden ist das die Haupt-Stalemate Line. Im Süden ist es das Problem, eine Seemacht aufzubauen. Die Existenz dieser Hindernisse erkärt das sehr verbreitete Phänomen, daß Österreich einen guten Start hat und dann bei einer Größe von ca. 10 VZ stagniert. Das ist der Punkt, an dem das Fehlen einer Seemacht und die Existenz der Stalemate Line im Norden zu großen Hindernissen für eine weitere Ausbreitung werden. Die besseren österreichischen Ergebnisse in No-Press-Partien könnte vielleicht mit der Tatsache erklärt werden, daß eine Verteidigung der Stalemate Line normalerweise die Zusammenarbeit von zwei oder mehr Mächten voraussetzt - eine Zusammenarbeit, die ohne Presse natürlich schwieriger ist. Unter solchen Umständen ist die Stalemate Line weniger hinderlich für ein gut gestartetes Österreich, und dadurch wird das Hindernis der fehlenden Seemacht weniger schwerwiegend, weil die VZ hinter der Stalemate Line nun leichter erreicht werden können.

Nun, wo wir Österreich trotz seines in der obigen Analyse offensichtlich gewordenen Tempo-Potentials zurückgestuft haben, kommen wir zu dem Schluß, daß aufgrund ihrer Startpositionen die drei mächtigsten Nationen in Europa Rußland, Deutschland und Frankreich sein müssen. Zwei dieser drei werden durch die Erkenntnisse aus der Praxis bestätigt, aber wir wissen, daß, statistisch gesprochen, Deutschland in E-Mail-Partien nicht nur hinter Rußland und Frankreich liegt, sondern auch konstant ein ganzes Stück hinter England und der Türkei. Wir haben also noch nicht alle wichtigen Faktoren, die sich aus der Karte ergeben, entdeckt.


DER FURCHT-FAKTOR (FEAR FACTOR)

Trotz der Betonung auf Bündnisstrukturen und gemeinsamen Strategien sowie dem Vorherrschen von Draws in den Ergebnissen von E-Mail-Partien ist das Hauptziel der meisten Spieler weiterhin der Alleinsieg. Jeder Diplomacy-Koch, der ein Siegesomelett zaubern will, weiß, daß er dazu einige Eier hineingeben muß. Das Problem ist, daß für deinen Verbündeten, wenn er auch ein Omelett-Koch ist, die benötigten Eier normalerweise in deinen eigenen Zentren liegen.

Die Anzahl der Mächte, die daran interessiert sind, deine Zentren als für ihren Sieg nötigen Schritt zu erobern, muß als wichtiger Faktor in der geographischen Sicherheit jeder Macht betrachtet werden. Ich nenne diesen Faktor den "Furcht-Faktor" (Fear Factor). Ich vermute: je höher der Furcht-Faktor einer Macht ist, desto größere Schwierigkeiten wird sie haben, den Sieg zu erreichen - unabhängig von den anderen natürlichen Vorteilen. Wie die Tempo-Analyse der Karte zeigt auch der Furcht-Faktor jeder Macht, daß nicht alle Mächte gleiche Chancen haben.

Um einen Furcht-Faktor zu berechnen, begann ich damit, die oben vorgenommene Tempo-Analyse und die Idee, daß die beste Strategie die sei, den schnellsten Weg zum Sieg zu nehmen, einzubeziehen. Wenn der schnellste Weg zum Sieg für eine andere Macht durch deine eigenen Heimat-VZ führt, hast du von dieser Macht mehr zu fürchten als von anderen. Je enger der Zusammenhang zwischen deinen Heimat-VZ und dem schnellsten Weg der anderen Macht, desto größer der Furcht-Faktor. (Ich beschränkte mich auf Heimat-VZ, um die Analyse einigermaßen einfach zu halten. Ich denke nicht, daß die Einbeziehung "natürlicher" oder anderer VZ in den Furcht-Faktor die Ergebnisse deutlich verändern würde.) Mathematisch gab ich dem engsten Zusammenhang zwischen zwei Heimat-VZ auf der Karte (Venedig und Triest) einen Indexwert von 5. Zentren, die zwei Tempi auseinander liegen (beispielsweise Paris und München) haben einen Furcht-Faktor von 4, und so weiter. Wenn die Heimat-VZ einer Macht nicht auf der Liste der für den schnellsten Sieg benötigten VZ einer anderen Macht stehen, ist der Furcht-Faktor 0, unabhängig von der tatsächlichen Entfernung. Je höher also der Furcht-Faktor ist, desto größer die Angst und, folglich, die Schwierigkeiten zwischen zwei Mächten. Die Furcht-Faktoren, die ich für jede Macht berechnet habe, sind die Folgenden:

Macht Furcht-Faktor von ... Furcht
gesamt
Öst. Eng. Fra. Deu. Ita. Ruß. Tür.
Österreich - 0 3 11 13 11 8 46
England 0 - 10 6 0 0 0 16
Frankreich 3 9 - 11 3 0 3 29
Deutschland 10 7 10 - 10 11 3 51
Italien 12 0 10 7 - 0 7 36
Rußland 11 5 0 10 0 - 11 37
Türkei 3 0 0 0 6 11 - 20

Wie beim Tempo-Potential gibt es ein großes Spektrum von Furcht-Faktoren. Wenn man den Furcht-Faktor zur Tempo-Analyse hinzufügt, erhält man eine Erklärung, warum die Ergebnisse Englands und der Türkei in E-Mail-Partien die deutschen übertreffen, trotz Deutschlands deutlichem Tempo-Vorsprung gegenüber diesen beiden Mächten. In der Liste, die zeigt, zu welchem Grad die Wege seiner Gegner zum Sieg durch das Herz des Vaterlandes führen, liegt Deutschland auf dem ersten Platz; sein Furcht-Faktor ist mehr als dreimal so groß wie der seines Nachbarn England. Deutschland ist die einzige Macht, deren Heimat-VZ für jede andere Macht von Interesse sind, und meist ist dieses Interesse ziemlich groß.

Obwohl Deutschland oft als Mitglied des West-Dreiecks (also England, Frankreich und Deutschland) bezeichnet wird, scheinen die Zahlen des Furcht-Faktors anzudeuten, daß Deutschland am Eck eines sogar noch stärkeren Dreiecks sitzt, einem Dreieck aus Österreich, Deutschland und Rußland. Jede dieser drei Mächte hat mindestens einen Furcht-Faktor von 10 bei den anderen beiden. Seltsamerweise erwähnen Strategie-Artikel über Diplomacy wenig über die Bedeutung dieses Dreiecks für Deutschland, außer dem generellen Ratschlag, sich mit Österreich zu verbünden und Rußland zu fürchten. Dabei scheint die Karte anzudeuten, daß Österreich, Deutschland und Rußland große Aufmerksamkeit auf das Aushandeln von Bündnissen mit bzw. gegen die anderen Mächte in der Frühphase des Spiels verwenden sollten, so wie das England, Frankreich und Deutschland tun. Vielleicht könnte das allgemeine Abschneiden Deutschlands sich verbessern, wenn die deutschen Anführer ihre Gedanken anders ausrichten würden und das Ost-Dreieck genauso sorgfältig behandeln würden wie das schon genauer beschriebene West-Dreieck.

Der Furcht-Faktor erklärt treffend einige der üblichsten Verhaltensweisen bei Bündnissen im Diplomacy. Es gibt zwei Wege, mit einer Macht umzugehen, von der du befürchtest, daß sie auf deine Zentren schielen muß: sie mit militärischen Mitteln zu bekämpfen oder sie mit diplomatischen Mitteln anderweitig zu beschäftigen (das heißt, mache diese Macht entweder zu deinem Verbündeten oder überzeuge jemand anderen, sie anzugreifen). Die Wichtigkeit, eine dieser Möglichkeiten anzuwenden, hängt mit der Größe des Furcht-Faktors der betreffenden Macht zusammen. Da die Macht mit dem höchsten Furcht-Faktor zu Beginn des Spiels oft der beste Verbündete ist, erklärt der Furcht-Faktor auch die Notwendigkeit zu stabben. Die Struktur der Karte verlangt das geradezu.

Wenn man die Analyse des Furcht-Faktors mit der Stelle, die die Mächte in der Liste der Tempo-Analyse einnehmen, kombiniert, bekommt man folgende Ergebnisse:

Macht nach Tempi nach Furcht-Faktor Gesamtpunktzahl
Österreich 2. Platz 6. Platz 8
England 6./7. Platz (gleich) 1. Platz 7,5
Frankreich 4. Platz 3. Platz 7
Deutschland 3. Platz 7. Platz 10
Italien 5. Platz 4. Platz 9
Rußland 1. Platz 5. Platz 6
Türkei 6./7. Platz (gleich) 2. Platz 8,5

Die Mächte, die insgesamt den niedrigsten Rang haben, sollten diejenigen sein, die am besten abschneiden. Zugegebenermaßen ist es eine übermäßige Vereinfachung, aber, wenn wir davon ausgehen, daß die Tempo-Analyse und der Furcht-Faktor gleichgroße Auswirkungen auf das Schicksal einer Macht haben, listet unsere Analyse die Mächte wie folgt auf:

1. Rußland
2. Frankreich
3. England
4. Österreich
5. Türkei
6. Italien
7. Deutschland

Vielleicht ist es also doch keine übermäßige Vereinfachung, weil es jetzt dem Abschneiden der Mächte in der Wirklichkeit sehr nahe kommt, außer, daß Österreich vor der Türkei liegt und Italien vor Deutschland. Wir haben Österreichs einzigartige geographische Schwäche, nämlich nur einen Hafen zu haben und in seinen Eroberungszügen ab einem bestimmten Punkt stark behindert zu sein, schon erörtert. Wenn wir annehmen, daß das ausreicht, um es zumindest einen Rang nach unten zu setzen, haben wir die Reihenfolge RFETAIG.

Damit bleibt uns nur noch ein Geheimnis zu erklären: warum ist Italien in dieser Analyse noch vor Deutschland, wenn es in Wirklichkeit deutlich schlechter abschneidet?

Ich denke, daß die Antwort darauf in einer geographischen Benachteiligung liegt, die von allen Mächten nur Italien hat: zu wenige neutrale Versorgungszentren, aus denen eine Operationsbasis aufgebaut werden kann. Wenn wir auf die Karte schauen, sehen wir, daß Frankreich, zusätzlich zu den anderen großzügigen Vorteilen (niedriger Furcht-Faktor, akzeptables zum Sieg nötiges Tempo, Lage mitten auf der Stalemate Line), zwei neutrale VZ auf der iberischen Halbinsel besitzt, die ohne Frage ihm gehören. Zusätzlich ist Belgien von jedem französischen VZ aus in zwei Tempi zu erreichen, wodurch es wahrscheinlich wird, daß Frankreich sechs Einheiten hat, bevor es einen Feind auf dessen eigener Erde angreifen muß. Deutschland und England teilen sich die Benelux-Staaten und Skandinavien, mit von Spiel zu Spiel unterschiedlicher Aufteilung, aber eine erfolgreiche Eröffnung wird England die Kontrolle über fünf VZ und alle Seegebiete um seine Heimat-VZ herum verschaffen. Es ist alles andere als ungewöhnlich, daß Deutschland drei neutrale VZ in der Eröffnungsphase besetzen kann. Ein russischer Start ist schlecht, wenn er nicht zur Eroberung von zwei neutralen VZ und damit zu insgesamt 6 VZ führt. Die reiche Beute auf dem Balkan bringt Österreich, Rußland und der Türkei frühe Konflikte, aber der Gewinner kann auf schnelle Zugewinne und eine gute strategische Basis von eng zusammenliegenden Zentren, von denen aus er sich ausbreiten kann, hoffen.

Und dann ist da Italien. Es hat Tunis. Die Zentren, die es wahrscheinlich als nächstes besetzen wird, sind die Heimatzentren einer anderen Macht. (Die unwahrscheinlichen Szenarios, Serbien in einem Key Lepanto zu besetzen oder Österreich/die Türkei dazu zu überreden, dir Unterstützung zu geben, um dich eine wackelige Zehenspitze nach Griechenland setzen zu lassen, sind die einzigen Ausnahmen.) Wenn Italien nicht durch Überredungskunst den Weg in ein Balkan-VZ freimachen kann (und es kann nie mit Gewalt hineinkommen), muß es mit einer anderen Macht Krieg beginnen, obwohl es eine Ausgangsposition von nur vier VZ hat. Und von diesen vier VZ ist nur Venedig ein guter Ausgangspunkt für die weitere Expansion (und sogar das ist durch die Nähe des österreichischen Aufbau-Zentrums Triest behindert). Das isolierte Tunis ist so ungefähr die schlechtestmögliche Operationsbasis auf dem Spielplan. Keine andere Macht als Italien hat so begrenzte Möglichkeiten, ein fünftes VZ zu erhalten oder so eingeschränkte Ressourcen, aus denen es in die Phase der direkten Konflikte zwischen den Mächten eintreten kann. Die einzige Alternative zu diesem langsamen Start ist, Österreich zu stabben, und die traditionelle österreichische Antwort auf dieses Manöver ist, mit allen Mitteln sicherzustellen, daß der italienische Spieler aus diesem Spiel lernt, daß das keine gute Idee ist. Die Tatsache, daß Italien mit dieser Schwierigkeit belastet ist, während Deutschland 1901 bequem drei Aufbauten erreichen kann, ist eine mehr als ausreichende Erklärung, warum Italien hinter Deutschland auf den letzten Platz unter allen Diplomacy-Mächten zurückfällt.

Da haben wir es. Wenn wir Österreich und Italien wegen ihrer einzigartigen geographischen Hindernisse je einen Rang zurücksetzen, haben wir eine Rangliste, die auf der Analyse der Karte basiert und mehr oder weniger perfekt zu den erwiesenen Ergebnissen und gewohnten Weisheiten paßt: die Geography bringt einigen Mächten Vorteile gegenüber den anderen - die Mächte habe die Reihenfolge RFETAGI. Diese Analyse stimmt mit den gewohnten Weisheiten überein - ein richtig langweiliges Ergebnis.


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Naja, ich hasse gewohnte Weisheiten, und ich hasse langweilige Ergebnisse, also habe ich entschieden, den Rahmen dieses Artikels ein bißchen zu erweitern und eine Fallstudie einzubauen, in der eine Macht ihr Spiel nach den geographischen Anforderungen gestaltet. Ich habe für diese Darstellung die schwächste Macht des Spiels ausgesucht: Italien. Der beste Teil dieser Studie ist, daß zumindest einige der Ideen, die sich daraus ergeben, unkonventionell sind - und Italien scheint alle neuen Gedanken, die es bekommen kann, zu brauchen.

Italien schneidet in den erwiesenen Spielergebnissen am schlechtesten ab, und das ist noch nicht mal ein knapper letzter Platz. Die objektive Analyse setzt Italien jedoch hinsichtlich seines Gesamtpotentials vor Deutschland (die Rückstufung wegen zu weniger neutraler Basis-VZ nicht eingerechnet) und belegt in der eingangs durchgeführten Analyse des Tempo-Potentials einen hohen fünften Platz (die Rückstufung wegen der Stalemate Lines nicht eingerechnet). Folglich müssen wir schließen, daß in den italienischen Strategien zumindest ein bißchen noch nicht ausgeschöpftes Potential steckt.

Wenn wir von den Eröffnungsstatistiken aus dem Pouch ausgehen, sehen wir, daß die beliebtesten Eröffnungen für Italien, der Tiroler Angriff (A Ven-Tyr, A Rom-Ven, F Nap-Ion) und das Lepanto (A Ven H, A Rom-Apu, F Nap-Ion), mit Abstand am populärsten sind. Wenn man zum Lepanto noch die Lepanto-Eröffnungen, bei denen etwas drohender A Ven-Tyr oder A Ven-Pie gezogen wird, dazunimmt, dann sieht man, daß Lepanto-Eröffnungen rein zahlenmäßig am beliebtesten sind, klar vor den Eröffnungen, die als vorwiegend anti-österreichisch gesehen werden (der Tiroler Angriff und direkte Stabs). Der Eröffnungsangriff auf Frankreich belegt abgeschlagen den dritten Platz in der Beliebtheitsskala. Also bevorzugt der typische Italiener in E-Mail-Partien den Angriff auf die Türkei, Österreich und Frankreich, in dieser Reihenfolge. Aber wenn die Geographie Italiens Schicksal bestimmt, ist diese Reihenfolge dann vernünftig?

Wenn wir uns die Liste der Zentren, die Italien für den Sieg benötigt, ansehen, dann erscheinen türkische Zentren erst im letzten Block derjenigen Zentren, die drei Tempi von italienischen Heimat-VZ entfernt liegen. Wenn wir uns die Furcht-Faktor-Analyse ansehen, ist die italienische Furcht vor der Türkei (7) genauso groß wie die vor Deutschland, aber geringer als seine Furcht vor Österreich (12) oder Frankreich (10). Die Türkei, die geographisch weit entfernt liegt und weniger gefürchtet werden muß als die näheren Nachbarn, scheint eine ungünstige Wahl für das erste italienische Angriffsziel zu sein.

Wenn das Lepanto normal verläuft, bringt es Italien einen Aufbau 1901 und keinen 1902, während Ende 1902 drei der vier Einheiten italienischen Boden verlassen haben und nur einen Verteidiger zurücklassen, der das Heimatland gegen alle Gegner verteidigen soll. Diese eine Armee muß den italienischen Stiefel gegen drei Gegner (Österreich, Frankreich, Deutschland) verteidigen, deren Furcht-Faktor zusammengezählt 29 ist, während drei Einheiten dazu verwendet werden, einen Feind anzugreifen, dessen Furcht-Faktor 7 ist. Außerdem werden alle Zentren, die ein oder zwei Tempi von den italienischen Zentren entfernt liegen, in den ersten drei Jahren des Spiels ausgelassen (außer Tunis), um Zentren, die drei Tempi entfernt liegen, anzugreifen.

Ich setze voraus, daß das keine rationale Strategie ist. Die Idee des Lepanto ist, Italiens größten Gegner in der Frühphase des Spiels, Österreich (Furcht-Faktor 12), durch Zusammenarbeit zu besänftigen. Das Problem mit einem Patron ist aber (wie Michael Corleone es ausgedrückt haben könnte), daß man ihn nicht auf ewig kaufen kann. Ende 1902 macht Italiens Lepanto-Position es für Österreich zu einem sehr guten taktischen Ziel und zu einer sehr guten strategischen Quelle für Zentren. Tatsächlich können es die meisten Österreicher gar nicht erwarten, daß Italien wirklich den Lepanto-Konvoi nach Syrien im Herbst 1902 macht, um das Kriegsbeil auszugraben. Meinen Erfahrungen nach beginnt Österreich, sobald es die zweite italienische Armee Ende 1901 nach Tunis übersetzen sieht, sich seine Stab-Taktik gegen den einzigen verbleibenden italienischen Verteidiger zu überlegen.

Sogar wenn Österreich seine Einheiten zurückhält, ist das wahrscheinlichste strategische Ergebnis eines Lepanto, daß Rußland und die Türkei praktisch von selbst in ein Bündnis getrieben werden (meiner Erfahrung nach eine natürliche Folge des Lepanto, die vom durchschnittlichen italienischen Spieler stark unterschätzt wird). Die daraus resultierende Blockadestellung erfordert schließlich die Aufmerksamkeit aller vier italienischen Einheiten, wodurch es nur eine Frage der Zeit wird, bis entweder Frankreich (Furcht-Faktor 10) oder Deutschland (Furcht-Faktor 7) über den ungedeckten Rücken in italienische VZ einfallen. Dabei ist noch gar nicht eingerechnet, daß Italien sogar bei einem erfolgreichen Lepanto immer noch sehr verletztlich für diesen Versuch ist (genauso wie für einen Stab durch Österreich und/oder Rußland). Der kombinierte Furcht-Faktor von Frankreich und Deutschland (17) ist fast so groß wie der kombinierte Furcht-Faktor von Österreich und der Türkei (19), und trotzdem geht das Lepanto davon aus, daß Italien es sich leisten kann, seine Aufmerksamkeit für die ersten drei Jahre des Spiels vollständig nach Osten zu richten, bevor es endlich dieses fünte Zentrum für all seine Anstrengungen gewinnt. Dieser Versuch ist viel zu einseitig ausgerichtet, und das für einen viel zu kleinen Gewinn.

Es scheint, daß nach der Geographie die im Moment beliebteste italienische Eröffnungsstrategie seine unproduktivste ist. Kein Wunder, daß Italien in den Ergebnisstatistiken zu einem gewissen Grad hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.

Die zweitbeliebteste italienische Strategie ist, sofort Österreich anzugreifen. Wenn wir auf die Liste der Zentren, die Italien für den schnellsten Weg zum Sieg braucht, schauen, sehen wir, daß Österreich und die Balkanzentren dort an herausgehobener Stelle stehen, also macht die verbreitete Tendenz, sie früh anzugreifen, durchaus Sinn. Italien beschäftigt sich zuerst mit dem Nachbarn, vor dem es sich am meisten fürchtet, was ebenfalls Sinn macht. Trotzdem haben viele Autoren die Meinung geäußert, daß ein früher Angriff auf Österreich zum Fehlschlag verdammt ist und sich deshalb dagegen ausgesprochen. In der Tat ist es die Prämisse von Edi Birsans Artikel über die Lepanto-Eröffnung, daß ein früher Angriff auf Österreich eine falsche Strategie ist. Wenn man aber die außerordentlichen Hindernisse, die sich auf der Karte befinden, einbezieht, scheint es eine schlechte Idee zu sein, statt Österreich die Türkei als erstes Ziel auszuwählen, nur weil Angriffe auf Österreich schlechte Erfolgsaussichten haben. Wenn die meisten italienischen Angriffe auf Österreich fehlschlagen, scheint die Schwierigkeit eher in einem Fehler in der Art, wie der Angriff normalerweise ausgeführt wird, zu liegen als in einem Fehler in der Grundidee eines Angriffs auf Österreich.

Gehen wir nun zur Karte zurück und legen einige Grundannahmen fest. Erstens hat Italien zwei Mächte, die seine natürlichen Verbündeten sind, weil sie von beiden Seiten aus gesehen einen Furcht-Faktor von null haben: Rußland und England. Zweitens hat Italien natürliche Gegner in vier Mächten, die sich in zwei "von Natur aus" entgegengesetzte Paare aufteilen: Frankreich/Deutschland und Österreich/Türkei. Die meisten Strategieartikel, die ich lese, erwähnen, daß Rußland ein natürlicher Verbündeter Italiens ist - hilfreich, um das Gleichgewicht gegen Österreich oder die Türkei oder beide zu halten - und die meisten italienischen Spieler, die ich beobachtet habe, versuchen, frühen und aktiven Kontakt zum Zaren aufzubauen. Gleichzeitig gibt es kaum Diskussionen über die Notwendigkeit für Italien, ein Bündnis mit England zu schließen, um die natürliche, durch den Furcht-Faktor bedingte Gegnerschaft zu Frankreich und Deutschland auszugleichen. Die Übung in Kartenanalyse, die wir gerade gemacht haben, zeigt, daß das italienische Schicksal beinahe so stark von der Furcht-Faktor-Beziehung zu Frankreich und Deutschland abhängt wie von seiner Fähigkeit, durchschlagende Erfolge gegen Österreich und die Türkei zu erzielen. Trotzdem rät die gewohnte Weisheit, wie sie oft in Strategieartikeln zu finden ist, Italien, den Westen zugunsten des Ostens zu ignorieren. Wenn Italien aber gewinnen will, schuldet es dem Westen genausoviel Aufmerksamkeit wie dem Osten. Meiner Meinung nach ist ein Grund für den totalen Fehlschlag, zu dem italienische Angriffe auf Österreich oft führen, daß Italien versäumt hat, alles zu tun, was es tun konnte (und mußte), um den Westen zu beeinflussen, also sicherzustellen, daß ein Eingreifen durch und/oder eine günstige Gelegenheit für Frankreich und Deutschland seine Anstrengungen gegen Österreich nicht zunichte macht.

Darüber hinaus konzentrieren sich die meisten Strategieartikel, die sich damit beschäftigen, wie man Italien spielt, auf die Beziehung zu Rußland, wenn es darum geht, einen Stab gegen Österreich zu planen und durchzuführen, und beachten dabei die Rolle der Türkei nicht. Die gewohnte Weisheit, die in den meisten dieser Artikel dargestellt wird, besagt, daß Italien und die Türkei Todfeinde sind, und geht davon aus, daß der Zweck eines russisch-italienischen Bündnisses in der schnellstmöglichen Vernichtung Österreichs und der Türkei liegt. Die meisten Autoren betrachten es als dummen Fehler von Italien, ein Bündnis zwischen Italien, Rußland und der Türkei zur schnellen Vernichtung Österreichs zu schließen (interessanterweise wird die weniger effektive - und ich würde auch sagen weniger produktive - Strategie, ein Bündnis mit Österreich und Rußland gegen die Türkei zu schließen, in denselben Artikeln weit positiver betrachtet). Ich kann aber nicht sehen, warum ein Bündnis mit zwei Mächten, deren Furcht-Faktor gegenüber der eigenen Nation sieben ist (Rußland/Türkei) gegen eine Macht, deren Furcht-Faktor zwölf ist (Österreich), eine schlechte, das umgekehrte Vorgehen dagegen eine gute Strategie sein soll. Für den Anfang ist das Bündnis aus Italien, Rußland und der Türkei natürlich nicht schlecht; jeder kennt ja seine Fähigkeit, Österreich schnell zu überwinden. Die wirklich wichtigen Dinge sind aber:

1. zu wissen, wann die diplomatischen Bedingungen ein Bündnis mit Rußland und der Türkei zur Überwindung Österreichs zur richtigen Strategie für Italien machen und

2. über den Punkt der Vernichtung Österreichs hinauszudenken und dafür von Beginn an eine Strategie geplant zu haben.

In dieser Beziehung empfehle ich stark den Artikel Go Fasta, Go Fasta von Leif Bergman aus dem Fall Movement 1997 Issue des Pouch. Obwohl ich nicht mit allem, was der Autor in diesem Artikel sagt, übereinstimme, präsentiert er doch einen guten Plan für Italien, um Österreich schnell zu überwinden und einen Masterplan zu haben, nicht nur dafür, was als nächstes geschieht, sondern auch, und das ist sehr wichtig, um in der Zwischenzeit den gesamten Spielplan einzubeziehen. Man muß zur Kenntnis nehmen, daß es für Italien einer der wichtigsten Teile dieses Plans ist, eine Beziehung zur Türkei auf der Ebene eines Bündnisses aufzubauen - eine, die für mindestens vier Jahre funktioniert. Ein anderer kritischer Bestandteil des "Go Fasta"-Masterplans ist, daß Italien eine Beziehung mit den Westmächten hat und alles tut, was es kann, um das Ergebnis des Kampfes im Westen zu beeinflussen. Ich stimme zwar mit dem Autor nicht überein, wenn er es bevorzugt, Deutschland innerhalb der drei Mächte England, Frankreich, Deutschland am stärksten zu sehen (ich denke, daß Italien unter den Westmächten England, das ja einen Furcht-Faktor von null hat, bevorzugen sollte), aber ich denke, daß er absolut recht hat mit seiner Einschätzung, daß Italien einen Plan haben sollte, um den Westen zu seinen Gunsten zu beeinflussen und daß der Plan zum Ziel haben sollte, daß keine Westmacht fähig ist, Italien auf seinem Weg zum Sieg zu stören.

Dieser Ratschlag lehnt sich sehr stark an die von der Geographie vorgegebenen Richtlinien der italienischen Position an. Italien greift die nächstgelegenen Zentren als erstes an und maximiert so das sehr wichtige frühe Wachstum. Italien sucht seinen Erfolg, indem es sich zuerst mit den Mächten, die seine Position weniger bedrohen, zusammentut, um diejenigen, die eine stärkere Bedrohung darstellen, auszuschalten. (Der "Go Fasta"-Artikel stellt richtigerweise Deutschland und die Türkei, mit einem Furcht-Faktor von je 7, als bevorzugte Bündnispartner gegenüber Frankreich (Furcht-Faktor 10) und Österreich (Furcht-Faktor 12) dar.) Italien versucht, sein Prinzip sowohl im Westen als auch im Osten anzuwenden, weil seine Bedrohungen in beiden Hälften des Spielplans liegen. Der "Go Fasta"-Ratschlag, mit der Türkei zusammenzuarbeiten und Frankreichs endgültigen Niedergang aktiv anzustreben, stellt einen deutlichen Gegensatz dar zu dem Ratschlag, der in einem gewöhnlichen Artikel über italienische Strategie gegeben wird: behandle die Türkei als Feind und verhalte dich gegenüber Frankreich neutral und freundschaftlich. Die Geographie stimmt jedenfalls der "Go Fasta"-Philosophie zu.

Damit will ich nicht sagen, daß Italien jedesmal Österreich als erstes Angriffsziel aussuchen sollte. Davon distanziere ich mich. Die "Go Fasta"-Strategie hängt stark von der russisch-türkischen Zusammenarbeit beim Angriff auf Österreich ab, vor allem auf die Bereitschaft der Türkei, ein ernsthaftes Büdnis mit Italien einzugehen. Sie hängt ebenfalls stark von der Verhinderung eines englisch-französischen Bündnisses ab. Wenn Italien diese diplomatischen Aufgaben nicht erledigen kann, ist die Ausführung der "Go Fasta"-Strategie wahrscheinlich zum Scheitern verdammt. Italien muß die diplomatischen Tendenzen einschätzen, um sich die richtige Richtung auszusuchen, bevor es auf Kurs geht. Das ist das andere Gebiet, in dem ich deutlich vom Autor des "Go Fasta"-Artikels abweiche. In seinem Enthusiasmus stellt er seine Strategie als den einzigen vernünftigen Weg dar, Italien zu spielen, und scheint durchgehend anzunehmen, daß das Eintreffen der von ihm angesprochenen diplomatischen Voraussetzungen erzwungen werden kann. Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß die Persönlichkeiten von sechs anderen Spielern oft nicht so einfach zusammengeschlossen werden können. Die gewohnte Weisheit liegt richtig, wenn sie annimmt, daß ein italienischer Angriff auf Österreich im Frühjahr 1901 mit Fallen gespickt ist. Man sollte die Strategie nicht anwenden, wenn man nicht überzeugt ist, daß die diplomatischen Grundlagen gelegt sind. Falls das nicht der Fall ist, muß Italien einen anderen Plan im Kopf haben.

Die Geographie scheint anzudeuten, daß Italiens vielversprechendster "Plan B" ein Angriff Richtung Westen ist. Beachtet, daß ich nicht von einem Angriff auf Frankreich gesprochen habe, sondern von einem Angriff Richtung Westen. Wenn wir zu der Liste der Zentren, die Italien für einen Sieg benötigt, zurückkehren, sehen wir, daß, wenn man die Zentren in Österreich und auf dem Balkan außer acht läßt, die einzigen übrigen Zentren Tunis, die iberische Halbinsel und französische, deutsche und türkische Heimatzentren sind. Weiterhin sehen wir, daß die französischen und deutschen Heimatzentren insgesamt näher liegen als die türkischen (Marseille und München sind schon 1901 erreichbar), und ein Angriff auf die iberische Halbinsel ist ebenfalls schon 1902 möglich. Geographisch gesehen ist diese Ansammlung von Zentren als Basis für zukünftige Operationen um einiges vielversprechender als die türkischen Zentren. Leider ist Italien genausowenig imstande, einen entscheidenden Angriff auf die iberische Halbinsel, französische oder deutsche Zentren durchzuführen, wie die Türkei alleine vollständig einzunehmen. Also, wie soll Italien vorgehen, um einen Angriff Richtung Westen zu starten?

Die diplomatische/militärische Methode Italiens bei Deutschland und Frankreich sollte dieselbe sein wie die ideale englische Strategie: diese beiden Mächte in einen Krieg gegeneinander treiben, dann sich auf eine Seite schlagen und sicherstellen, daß Italien auf der Siegerseite ist und dadurch wächst. Wenn man so handelt, ist eine Koordination mit England sehr wichtig. In der Tat zeigt die Erfahrung, daß ein französischer oder deutscher Spieler, der sowohl von England als auch von Italien Unterstützungsangebote für einen Angriff auf den Nachbarn erhält, selten der Versuchung, die durch solche Angebote geweckt wird, widerstehen kann.

Italien muß aggressiv spielen, um erfolgreich zu sein, egal, ob es sich im Osten oder im Westen ausbreitet. In der Frühphase des Spiels sind entmilitarisierte Zonen in Piemont und Tirol viel wichtiger für die Sicherheit von Italiens Nachbarn als für seine eigene. Wenn Italien voraussetzt, daß die Zeit nicht reif ist für einen Angriff im Osten, sollte es diese Schlüsselprovinzen früh und oft besetzen, und sich nicht dafür entschuldigen. Nach meiner eigenen Erfahrung habe ich selten italienische Armeen diese Provinzen für längere Zeit besetzen sehen, ohne daß sie von einer anderen Macht in ein feindliches Zentrum unterstützt wurden. Mit richtig ausgeführter Diplomatie braucht Italien in den ersten beiden Jahren nur eine einzige Armee nach Westen zu schicken, um einen Aufbau entweder von Marseille oder von München abzubekommen. Da diese Armee gleichzeitig in einer an Venedig angrenzenden Provinz stehen wird (jedenfalls bis sie ein Zentrum erobert), wird sie zu dieser Zeit auch für Sicherheit gegenüber Österreich sorgen. Die andere Armee kann in Venedig bleiben, oder - falls man Österreich stark vertrauen kann - ihrem Gegenstück in einer umkämpften Konfliktzone zur Hilfe kommen. Die Flotte wird benutzt, um Tunis zu nehmen, und kann dann entweder nach Osten oder nach Westen ziehen, je nachdem, welche Strategie man anwendet.

Im Idealfall würde ein Italien, das sich zum Angriff Richtung Westen entschließt, ein Bündnis mit England und Deutschland gegen Frankreich eingehen, da das für Italien weniger Bedrohung bedeutet, weil es später auch als Hebel gegen den größeren der beiden dienen kann. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Italien Marseille und Spanien bekommen kann sowie die Gelegenheit zu weiteren Zugewinnen, wenn das Stabben nach der Ausschaltung Frankreichs beginnt. Italien sollte versuchen, dieses anti-französische Bündnis in einer sehr ähnlichen Art auszuführen wie die "Go Fasta"-Strategie gegen Österreich. Das heißt, Italien sollte die Grundlagen für das, was nach der Ausschaltung Frankreichs passiert, schon legen, bevor der erste Schuß fällt, und in der Zwischenzeit versuchen, die Angelegenheiten im Osten zu seinem größtmöglichen Vorteil zu beeinflussen. Hier wird die Strategie auf der "anderen Hälfte" des Spielplans vor allem dadurch beeinflußt, daß Italien zu Beginn genausoviel Kraft für die Rückendeckung (F Ion, A Ven) aufwenden muß wie für den Angriff auf Frankreich. Wachsame Mitglieder des Ost-Dreiecks werden diese "untätigen" Einheiten sehen und Italien dazu drängen, sie in Aktion zu setzen. Italien sollte gesprächsbereit bleiben, aber sie nur für einen guten Preis einsetzen. Diese Einheiten werden auch dazu dienen, sich einige VZ von verlierenden Nachbarn zu sichern oder diese in der Auslese-Phase des Spiels zu unterstützen, je nachdem, wie es die Situation erfordert.

Sollte ich eine allgemeine Strategie für den italienischen Spieler empfehlen, die auf den Ergebnissen der obigen Erörterung basiert, dann wäre das die Folgende: versuche, vor Spielbeginn die Angelegenheiten so zu beeinflussen, daß Italien durch einen Angriff auf Österreich wachsen kann, während du im Hinterkopf behälst, daß das nicht immer möglich ist. Betreibe deshalb keine allzu heftige Diplomatie mit den Westmächten. Der Angriff Richtung Westen ist eine gute zweite Möglichkeit, verlangt aber genausoviel Vorbereitung wie ein Angriff auf Österreich. Frankreich ist, meiner Meinung nach, klar das zweite Ziel, aber ein Zug nach Tirol und die Bedrohung Deutschlands kann ebenfalls funktionieren, wenn die ersten beiden Möglichkeiten nicht durchführbar sind. Hebe dir die Möglichkeit eines österreichisch-italienischen Lepanto auf für die Fälle, in denen sich offensichtlich ein starkes russisch-türkisches Bündnis gebildet hat und du weißt, daß du bei den Gedanken und Plänen Rußlands und der Türkei nicht auf dem Laufenden bist. Wenn du die russisch-türkische Bedrohung mit Erfolg aufhalten kannst, erwarte nicht, daß dir Frankreich oder eine andere Westmacht dir dafür auf eine andere Weise dankt als mit einem Überfall. Das heißt nicht, daß du das russisch-türkische Bündnis nicht aufhalten solltest, aber es heißt vielleicht, daß du es nicht unbedingt so schnell machen solltest, daß deine westlichen Nachbarn dich nicht mehr brauchen.

In meinen eigenen bisherigen E-Mail-Partien habe ich viele italienische Lepanto-Versuche gesehen, aber ich habe noch keine gesehen, die auch nur ihr ursprüngliches Ziel erreicht haben, geschweige denn langfristig Erfolg hatten. Andererseits habe ich Italien sowohl gewinnen als auch an Draws teilnehmen sehen, wenn das Spiel mit einem Angriff auf Österreich begann, und ich habe auch Italiener gesehen, die schnell gewachsen sind, indem sie sich Frankreich zum Ziel genommen haben. (Obwohl ich niemals einen italienischen Sieg, der so begann, gesehen habe, denke ich nicht, daß der Fehler in diesen Fällen in der Eröffnung oder der Strategie im Mittelspiel lag.) Ich habe auch schon einmal gesehen, daß Italien nach der frühen Eroberung Münchens gewachsen ist, aber durch einen schlecht durchdachten Stab des Österreichers lahmgelegt wurde. Die gute Nachricht ist, daß Italien Österreichs Eliminierung überlebt hat und das Spiel mit den zweitmeisten VZ beendete. Die schlechte Nachricht ist, daß Frankreich dieses Spiel gewann. Die Geographie scheint zu diktieren, daß die bevorzugten italienischen Ziele im Spiel zuerst in Österreich, dann in Frankreich, dann in Deutschland und dann in der Türkei liegen. Meine eigene Erfahrung bestätigt das. Daß diese Analyse scheinbar sowohl gewohnten Weisheiten als auch wirklicher Praxis widerspricht, könnte erklären, warum Italien in E-Mail-Partien am schlechtesten abschneidet und scheinbar nicht einmal sein bescheidenes Potential ausschöpft. Als Schlußpunkt würde ich folgendes sagen: beim nächsten Mal, wenn du Italien spielst, versuche, der Logik der Geographie zu folgen anstatt der gewohnten Weisheit. Ich glaube nicht, daß du irgend etwas zu verlieren hast.


VORSCHLÄGE FÜR WEITERE ÜBERLEGUNGEN

Die Logik der Geographie in der italienischen Fallstudie kann auch auf die anderen Mächte übertragen werden, aber das werde ich euch überlassen. Die optimalen Strategien für England, Frankreich und Rußland sind ziemlich festgelegt und gewohnte Weisheiten scheinen die Logik ihrer Geographie mehr oder weniger gefangenzuhalten. Ich denke jedoch, daß die Türkei öfters schlecht gespielt wird als die anderen Eck-Mächte, und ehrgeizige Sultane haben vielleicht den Wunsch, gewohnte türkische Strategien im Sinne der hier vorgestellten Analyse zu überdenken. Österreich könnte ebenfalls ein paar frische Gedanken vertragen, vor allem hinsichtlich des allgemein anerkannten Prinzips, daß das Bündnis mit Deutschland automatisch bestehen sollte. Nach Italien ist Deutschland vielleicht die Macht, die am meisten unter dem Mißverhältnis von gewohnten Weisheiten und seiner Geographie leidet.

Es gibt eine Menge gewohnter Weisheiten, die meiner Meinung nach nicht mit der Geographie der Standardkarte, wie sie in dieser Analyse dargestellt wird, übereinstimmen. Von den anderen allgemein anerkannten Prinzipien halte ich die Folgenden für falsch:

- Österreich/Türkei ist ein schlechtes Bündnis (es wäre aber für beide Mächte besser als ein Bündnis mit Rußland)

- Rußland/Türkei ist ein gutes Bündnis (es ist sicherlich gut für Rußland, aber warum sollte die Türkei bereitstehen, um dem überlegenen Wachstumspotential seines Nachbarn auf die Sprünge zu helfen, wenn es für sie selbst die größte Bedrohung darstellt?)

- Deutschland sollte ein Bündnis mit Frankreich bevorzugen (wo doch ein Bündnis mit England eine bessere Wirkung gegen zwei Mächte, die Deutschland mehr fürchtet als England, haben sollte)

- Deutschland und Österreich sind natürliche Verbündete (wo doch beide ein natürliches Interesse an den Heimatzentren des anderen haben)

- Deutschland und Rußland sind natürliche Feinde (die Geographie zeigt, daß Österreich-Deutschland-Rußland ein weiterer Dreiecks-Wettbewerb im Spiel ist, also warum sollten zwei Mitglieder dieses Dreiecks automatisch die Idee, sich gegen die Interessen des dritten - und anderer - zusammenzuschließen, abweisen?)

- Deutschland ist eine Westmacht und sollte sich hauptsächlich auf den Westen konzentrieren (wo doch insgesamt sein Furcht-Faktor unter den Ostmächten größer ist als der unter den Westmächten)

Es gibt noch andere, aber ich denke, daß das ein guter Ausgangspunkt ist, um Spieler dazu zu bringen, ihr Spiel zu überdenken und zu versuchen, mit neuen kreativen Ideen für Strategien und Techniken, die aus einer Betrachtung der Geographie der Standardkarte abgeleitet sind, aufzuwarten.

Und überhaupt, warum sollte man sich auf die Standardkarte beschränken? Es gibt viele beliebte Varianten. Ich bin selbst kein Variantenspieler, aber vielleicht würde sich jemand, der das ist, dafür interessieren, die Karte seiner Lieblingsvariante zu analysieren, indem er diese Art der Analyse verwendet, und der Welt seine eigenen Analysen der Colonial-Karte, der Modern-Karte oder der Karte einer anderen Variante zu präsentieren.

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