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Kettensägen-Diplomatie (Chainsaw Diplomacy) |
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von Paul Windsor (pnkwindsor@msn.com)
ÜBERSETZT VON MARCO SUßBAUER
"Chainsaw" Al Dunlop war vor einem Jahr in den Nachrichten, weil er dem Herausgeber einer bekannten US-amerikanischen Finanzzeitschrift einen ungewöhnlichen Brief schickte. Für diejenigen, die nicht mit den Personen der amerikanischen Businesswelt vertraut sind: Chainsaw Al ist der aktuelle Generaldirektor der Sunbeam Handelsgesellschaft und hat sich in der amerikanischen Finanzwelt Ruf und Respekt als "Umbiegespezialist" erworben. Wenn Deine Gesellschaft schwer zu kämpfen hat und dem Wettbewerb nicht mehr standzuhalten scheint, ist Chainsaw Al der Bursche, der Dein Unternehmen wieder auf den rechten Weg bringt. Zusätzlich dazu, daß er in diesem Fach der Beste ist, erhielt er auch verdientermaßen den Ruf, Ziele, die er sich oder seiner Gesellschaft gesetzt hat, schonungslos und unablässig zu verfolgen.
Chainsaw Al hat in diesem inzwischen berüchtigten Brief an den Herausgeber Gerüchte, er wolle das Angebot annehmen, Generaldirektor einer anderen US-Handelsgesellschaft (Waste Management, Inc.) zu werden, dementiert. Nun ist solch ein öffentliches Dementi nicht besonders ungewöhnlich, selbst wenn es um einen wahren Sachverhalt geht. Al Dunlap jedoch wollte ernsthaft bei Sunbeam bleiben und Sunbeam-Teilhabern versichern, daß das auch der Fall war. Mr. Dunlap bediente sich konsequenterweise seines Markenzeichens, des "Chainsaw"-Stils, um sicherzustellen, daß niemand mehr daran zweifelte, daß er nicht Chef von Waste Management, Inc. werden würde. In seinem Brief an den Herausgeber brandmarkte er öffentlich die Verantwortlichen von Waste Management, die behaupteten, sie hätten ihm ein Angebot unterbreitet, als Lügner und diffamierte das Unternehmen, indem er seine Führung als inkompetent bezeichnete. Jegliche Spekulation über einen Wechsel Chainsaw Al's zu Waste Management endete abrupt nach der Veröffentlichung dieses Briefes.
AMÜSANTE GESCHICHTE. ABER WAS HAT DAS MIT DIPLOMACY ZU TUN?
Praktisch jeder je geschriebene Artikel über Verhandlungsnoten und Diplomatie (meine eingeschlossen) betonen wiederholt die Notwendigkeit, in jeder Note höflich, vernünftig und respektvoll zu sein, auch den Gegnern gegenüber. Im wesentlichen will ich das auch gar nicht in Abrede stellen und ich möchte auch nicht, daß irgendjemand meinen Artikel als Freibrief für Idiotendiplomatie auffaßt. Charme ist nach wie vor in 95 Prozent der Fälle die beste diplomatische Waffe. Ich glaube sehr an eine rationale Herangehensweise und höflichen Ton, wie in meinem Artikel Lawyer/Diplomat beschrieben.
Es gibt jedoch Zeiten, in denen all Deine noch so gut ausgearbeiteten Pläne fehlschlagen. Es gibt Zeiten, da muß man bei jemandem Gehör finden, der überhaupt keine Lust hat, zuzuhören. Es gibt Gelegenheiten, die nach einem aggressiveren Ton und Stil verlangen. Ja, alle Jubeljahre ist Kettensägendiplomatie angesagt.
WAS GENAU IST KETTENSÄGENDIPLOMATIE?
Kettensägendiplomatie ist das Verhandlungsäquivalent zum puren Faustkampf. Es bedeutet Verhandlungsnoten, die mit Absicht beim Empfänger Unruhe stiften und entnervend sein sollen. Nach dem Lesen einer effektiven Kettensägendepesche sollte der betreffende Herrscher zittern. Er sollte denken: "Mein Gott, ich habe es mit einem Verrückten zu tun!" Kettensägendepeschen sind irrational, fordernd und/oder einschüchternd. Sie sollten nicht einmal die Möglichkeit einer vernünftigen Antwort zulassen. Eine echte Kettensägendepesche sollte dem Empfänger die 100%ige Sicherheit vermitteln, daß der Autor genau das zu tun gedenkt, was er geschrieben hat. Ihre hauptsächliche Bestimmung ist, eine Botschaftt zu übermitteln, die nicht ignoriert werden kann, auch nicht von den noch so Mißtrauischen, und sie ist gewöhnlich so zart wie eine zum Gruß verschickte schwarze Rose.
An dieser Stelle sei aber auch erwähnt, was Kettensägendiplomatie nicht ist. Sie ist nicht derb oder ungehobelt. Gossensprache hat in keiner Depesche Platz, auch nicht in einer Kettensägendepesche. Sie ist nicht beleidigend - bedrohlich vielleicht - aber nicht beleidigend. Mit Beschimpfungen wird man das Ziel, seine Botschaft rüberzubringen, nicht erreichen. Sie dient nicht dazu, dem Ärger Luft zu machen. Kettensägendepeschen können so gestaltet sein, daß sie wie ein emotionaler Ausbruch wirken, sie sollten es aber nie sein. Sie sind ein kühler, berechneter Versuch, durch unvernünftige Äußerungen, Drohungen und Forderungen das zu erreichen, was auf höflichem Verhandlungswege nicht zu bewerkstelligen war.
IN WELCHEN SITUATIONEN IST KETTENSÄGENDIPLOMATIE ANGESAGT?
Kettensägendiplomatie ist dann und nur dann angebracht, wenn alle anderen konventionellen Möglichkeiten effektiver Kommunikation mit einer anderen Macht ausgeschöpft sind, und wenn Dir diese Macht bezüglich eines oder mehrerer bestimmter Punkte aber Glauben schenken soll. Denke daran, daß der einzige Zweck von Verhandlungsnoten Kommunikation mit dem Empfänger ist. Verschicke nie eine Kettensägendepesche, nur weil es Dir besser geht, wenn Du Deinen Emotionen Luft machst. Verschicke auch nie eine Kettensägendepesche, wenn Du nicht weißt, welche Reaktionen Du provozieren willst. Eine Kettensägendepesche schickst Du, wie Glenn Close in "Fatal Attraction", weil Du etwas zu sagen hast und dabei nicht ignoriert werden willst.
Mit Beispielen lassen sich meine Ausführungen am besten illustrieren.
DIE GESCHICHTE VOM TROTZIGEN TÜRKEN
Als ich mich einmal als Ersatzspieler verdingte, übernahm ich eine 4 VZ-Türkei, die Einheiten aller drei Nachbarstaaten an seinen Heimat-VZ stehen hatte: Eine russische Flotte in Bla, eine österreichische Armee in Bul und eine italienische Flotte in Eas. Der Sultan hatte schon bessere Zeiten erlebt.
Die Situation auf dem restlichen Teil der Karte gab auch zu wenig Optimismus Anlaß: Frankreich lag deutlich in Führung, nachdem eine französisch-deutsche Allianz England erledigte, noch bevor ich ins Spiel kam. Frankreich bekam jedoch dabei alle englischen VZs. Deutschland hielt dennoch nach wie vor zu Frankreich und war voll damit beschäftigt, Rußland im Norden anzugreifen. Frankreich hatte das Vergnügen, sich in aller Ruhe ostwärts gegen die überwiegend ungeschützten deutschen und italienischen Grenzen aufbauen zu können. Keine der vier Ostmächte (Ö, I, R, T) konnte aus dem vierjährigem Krieg untereinander nennenswerte Profite erzielen.
Anfangs schienen die Verhandlungen mit meinen Nachbarn trotz der furchtbaren Lage gut zu laufen. Italien, das vorher seine Kräfte uneffektiv für einen gleichzeitigen Angriff gegen Österreich und die Türkei gesplittet hatte, gab vor einzulenken mit der Bemerkung, daß ein Schwenk westwärts gegen Frankreich seinen Interessen am dienlichsten wäre, jetzt, da England von der Landkarte verschwunden war. Rußland hatte scheinbar das Spiel verloren gegeben und redete mit niemandem mehr. Österreich, das offensichtlich von der Ernsthaftigkeit des ausgehandelten Waffenstillstands mit Italien überzeugt war, erklärte sich einverstanden, sein Gewicht in einen entschlossenen Ö/T-Angriff auf Rußland zu werfen, um der deutschen Eroberung zuvorzukommen. Das Ziel war, Rußland zu vernichten und eine Ö/I/T-Stalemate Line gegen F/D aufzubauen.
Die Ö/I/T-Allianz sah auf dem Papier recht gut aus. Die Dinge liefen jedoch nicht so, wie sie sollten.
Zum einen verblieb die italienische F Eas nach dem Zug nach Ion dort, während seine anderen Einheiten unentschlossen umherzogen. Die Entschuldigung war, daß Frankreich nicht verfrüht Verdacht schöpfen solle. Österreich warf sich zwar in den Kampf gegen Rußland, verweigerte mir jedoch VZs jenseits von Sev und ließ keinerlei Diskussion über eine Wegzug seiner Armee in Bul zu, die dort verblieb, obwohl sie anderswo nützlicher gewesen wäre.
Im ersten Jahr meines Einstiegs in die Partie hatte ich gute Fortschritte gegen Rußland gemacht (dank Österreichs Hilfe), aber die Provinzen in meinem Westen und Norden blieben Tummelplatz der Einheiten meiner "Verbündeten". Ich startete viele Versuche, diese Situation anzugehen. Wenn man überhaupt Notiz davon nahm (oft wurde ich ignoriert), kamen für die sonderbaren Manöver nur Entschuldigungen aus Österreich und Italien, mit dem Inhalt, Frankreich und Deutschland nicht "verärgern" zu wollen. Instinktiv regte sich bei mir der Verdacht, daß Österreich und Italien ihr eigenes Süppchen kochten, um die Zahl der Teilnehmer auf der Karte zu reduzieren.
Ein Jahr später wurde Rußland von seinem Herrscher verlassen. Kurz darauf bestägtigte der Ersatzzar (mit weitergeleiteten Mails) meinen noch nicht ausgesprochenen Verdacht. Österreich plante, mich zu hintergehen. Italiens nutzlose Manöver waren vor allem das Werk des Österreichers, das wie Jago Italien (das den perfekten Othello spielte) einflüsterte, Frankreich und ich würden antiitalienische Pläne schmieden. Das rechtfertigte Italiens Unentschlossenheit. Österreich vermittelte auch dem geprügelten Zaren die (offensichtlich trügerische) Hoffnung, sich vor der Vernichtung durch einen gemeinsamen Hinterhalt gegen mich retten zu können. Russland bot mir eine Allianz an, aber es war schwach, so daß dieses Angebot mich nicht gerade vom Hocker riß. Einen letzten Versuch wollte ich noch unternehmen, um Italien und Österreich für eine echte Ö/I/T-Allianz zu gewinnen.
Und dafür packte ich die Kettensäge aus.
Ich verschickte ganz nebenbei eine Depesche, die an Frankreich, Italien und Österreich zugleich gerichtet war. In ihr informierte ich Frankreich darüber, daß sein ruchloser Versuch, Italien und Österreich von meiner Absicht zu überzeugen, sie auszuschalten, aufgedeckt worden war. Ich beschuldigte ihn, mich nur kontaktiert zu haben, um meine Mails verfälscht an meine Verbündeten weiterzuleiten und bezüglich weiterer Lügen und Manipulationen. Ich teilte ihm mit, daß dies meine letzte Depesche an Frankreich sei, da ich mich von nun an gänzlich seiner Vernichtung widmen werde. Wie Chainsaw Al riß ich diese Brücke in aller Öffentlichkeit ein, um meinen jetzigen Verbündeten meine Loyalität zu demonstrieren.
Die Reaktionen meiner beiden "Verbündeten" waren ziemlich aufschlußreich. Italien war amüsiert. Es fühlte sich durch meine Geste wieder sicher und war bereit, entschlossen mit einer Ö/I/T-Allianz weiterzumachen. Auf der anderen Seite war Österreich erzürnt. Weiterer Austausch mit ihm führte zu nichts. Ich hatte seinen Plan, mich zu vernichten, durcheinandergeschüttelt und er wollte daher schmollen und mich bestrafen. Meine Kettensägendepesche hatte genau das bewirkt, was sie bewirken sollte. Sie zeigte mir, wer meine echten Freunde waren. Gleich nach der Kettensägendepesche arrangierte ich zusammen mit Rußland einen Stab gegen Österreich, Italien schloß sich an und flugs war Österreich eliminiert.
Leider hat die Geschichte kein Happy End. Frankreich gewann am Ende doch das Spiel, da Deutschland weiterhin nutzlosen Krieg mit Rußland führte und sich vom Franzosen überrollen ließ, gleichzeitig faßte Italien nie genug Vertrauen zu mir, um gemeinsame Flottenmanöver im Mittelmeer durchzuführen. Ich fand Trost in der Tatsache, daß ich die Türkei, durch die gemeinsamen Ö/I/R-Aktionen am Abgrund stehend, binnen zwei Jahren in die stärkste Ostmacht verwandelt hatte. Außerdem sah ich den Fall Österreichs, das gegen mich intrigiert hatte.
DIE FABEL VOM FURCHTLOSEN FRANZOSEN
Ich spielte Frankreich in einer Partie, in der mir schnell die Optionen ausgingen. Die Einführungsdiplomatie schien gut zu laufen. England willigte in einen freien Kanal ein und Deutschland zeigte kein Interesse an einer frühen Feindschaft (aber auch nicht an einer frühen Allianz). Leider offenbarte das Frühjahr 1901 eine deutsch-englische Attacke gegen mich. England brach das Kanalabkommen und saß nun dank meiner Order F Bre-MAt im Kanal. Deutschland eröffnete nach Bur, letztendlich gelangte ich aber durch Unterstützung aus Mar dorthin (Italien, dem ich vertraute, warnte mich vor feindlichen deutschen Absichten). Den einzigen Punkt, den ich machte (außer der Freundschaft mit Italien), war der russische Zug A Mos-StP. Das offensichtliche Interesse des Zaren an einer Herrschaft in Skandinavien würde ein willkommenes Druckmittel im Rahmen der Aktionen gegen den deutsch-englischen Angriff sein.
Nach der Frühjahrsauswertung schickte ich sofort Sondierungsnoten sowohl nach England als auch nach Deutschland. In beiden Schreiben suchte ich einen vernünftigen Austausch, bot die Rolle des Juniorpartners in einer Allianz an, wenn es nur im Herbst zum Abrücken vom bisherigen Kurs käme. Ich erweckte die Geister einer russischen Totalherrschaft in Skandinavien nach 1902 und die damit verbundene Bedrohung, selbst für eine E/D-Allianz. Deutschland antwortete mit einer höflich gehaltenen Depesche, die im wesentlichen "mein Kurs steht fest" beinhaltete. Er deutete jedoch an, daß er mich möglicherweise später verschonen würde, aber nicht in den nächsten ein bis zwei Jahren. Bestürzt wartete ich auf die englische Antwort ... und wartete. Ich sandte ihm eine Folgenote "Hast Du mein erstes Schreiben bekommen?" Nichts.
Also schön. Werfen wir doch mal einen Blick auf die taktischen Angelegenheiten. Die Realität sieht so aus: Um einem E/D-Angriff mit einer bereits vorhandenen englischen Flotte im Kanal gut standzuhalten, muß Frankreich eine Flotte in Brest bauen. Es ist auch davon auszugehen, daß Frankreich bei einer E/D-Allianz recht bald die Landung einer Armee in Belgien zu erwarten hat. Frankreich wird sehr wahrscheinlich im Frühjahr 02 Burgund verlieren, es sei denn, es kann im Herbst 01 eine Armee in Paris oder Marseilles aufbauen. Schlußfolgerung: Falls ich in diesem Spiel jemals auf eigenen Füßen stehen soll, sollte ich besser im Herbst 01 zwei Aufbauten ergattern. Folglich muß ich F MAt-Por ziehen und den Engländer von Brest abhalten.
Die erste Möglichkeit, die ich in Betracht zog, war eine List: Ein anderes Land dafür zu gewinnen, England eine Nachricht zu schicken, mit dem Hinweis, nicht nach Bre zu ziehen, da ich F MAt-Bre befehlen würde. Das Problem dabei war, daß ich dafür nur zu Italien das nötige Vertrauen hatte, aber weder der Italiener noch ich einen überzeugenden Grund dafür fanden, warum Italien das England oder Deutschland mitteilen würde. Ich wollte eine größere Erfolgschance. Ich mußte selbst mit England reden. Ich ging nocheinmal die Depeschen durch, die ich England bisher geschickt hatte und war wieder bestürzt. Ich hatte die besten Vernunftgründe dafür, mich nicht anzugreifen, vorgelegt und bekam nicht einmal eine Antwort. Wäre irgendeine Form von Logik geeignet, England von Brest fernzuhalten? Ich glaubte es nicht.
Hier entschied ich mich, nach der Kettensäge zu greifen.
Der einzige Zweck der Kettensägendepesche war es, England zu irgendeinem anderen Zug als Eng-Bre oder Konvoi nach Brest zu veranlassen. Für mich stand fest, daß der direkteste Weg dahin wäre, den Engländer ganz klar von meiner Absicht, F MAt-Bre zu ziehen, in Kenntnis zu setzen. Er mußte zu der Überzeugung gelangen, daß das kein Bluff sei. England sollte gar keine anderen Wahl haben, als mir zu glauben.
Als ich begann, dieses Schreiben zu verfassen, änderte ich meinen Ton und Stil komplett. Ich beschloß, aus dem Brief den puren Ärger sprechen zu lassen. England hatte mich zuerst hintergangen und dann ignoriert. Wie konnte es das wagen! Der Ärger klang aber dennoch nicht verbittert. Es klang überheblich, aufgeblasen und absolut mitteilsam. Ich schrieb dem Engländer, daß ich es akzeptiert hätte, aus der Partie demnächst auszuscheiden und daß sein Verrat Bestrafung verdient hätte, zumindest aus meiner Sicht heraus. Hochnäsig machte ich dem Engländer klar, daß der Zug in den Kanal ein "Anfängerfehler" gewesen sei und daß ich die Absicht hätte, ihm eine Lektion zu erteilen. Ich würde sicherstellen, daß dieser Fehler ihm keinerlei Profit einbringen werde. Ich beschrieb genau, wie ich ihn mit in den Abgrund reißen würde als mein persönlicher Ausdruck von Gerechtigkeit.
Das erste konkrete, was ich dem Engländer mitteilte war, daß ich F MAt-Bre und A Bur-Bel ziehen würde. Das sollte sicherstellen, daß er diese VZs nicht alleine erobern könne. Dann stellte ich heraus, daß Rußland ihn mit seiner Armee in St. Petersburg aus Norwegen rauswerfen würde, während Deutschland sich in Holland und Dänemark gemütlich ausbreiten würde. Ich sagte auch, daß ich ziemlich sichere Informationen darüber hätte, daß Deutschland ihn unter keinen Umständen nach Bel unterstützen würde (eine Halbwahrheit, auf Deutschlands Depeschen basierend). "Keine Aufbauten für Dich in diesem Jahr!", krähte ich heraus (tatsächlich kleidete ich diese Aussage in ziemlich verärgerndes Gewand, ich wiederholte sie im Verlauf des Schreibens oft).
Die nächste Sache, die ich England mitteilte, war, daß ich natürlich keinen zwei-Fronten-Krieg führen könne. Daher wolle ich nur eine Front verteidigen: die englische. Burgund, Paris und Marseilles wären für Deutschlands Armeen freie Felder, während ich die Picardie, Brest, die Gascogne und die iberische Halbinsel gegen alle Angriffe seinerseits verteidigen würde. "Keine Aufbauten auch im nächsten Jahr, es sei denn Du kannst Dir einen von Deutschland erbetteln." Währenddessen könne er beobachten, wie russische Flotten gebaut und in Edinburgh einbrechen würden, es sei denn, der Deutsche hinterginge ihn zuerst.
Die Kettensägendepesche wurde ziemlich lang, insgesamt etwa dreieinhalb Seiten. Auch Deutschland bekam sie zugeschickt, um den Eindruck der Echtheit zu verstärken. Anschließend orderte ich F MAt-Por, A Mar-Spa, A Bur H und hielt den Atem an.
In der Auswertung ward zu sehen, daß England mit deutscher Hilfe seine Armee nach Bel brachte. Brest war gerettet und ich konnte zwei Einheiten aufbauen, eine Flotte in Brest und eine Armee in Paris. Deutschland schickte mir die folgende Depesche, kaum das die Auswertung raus war: "Du Lügner im Großformat! Nun, wie wollen wir von hier aus weitermachen?". Der Deutsche erkannte, daß meine Kettensägendepesche Teil einer ausgeklügelten Strategie war, was ihn beeindruckte. Er war bereit, die Seite zu wechseln, was er schließlich auch tat.
Ich erfuhr von ihm, daß der Engländer bis vor Ankunft meiner Kettensägendepesche einen Konvoi nach Bre plante. Seine Reaktion auf die Depesche war pure Panik. Nachdem er sie gelesen hatte, teilte er dem Deutschen sofort mit, daß er nach Belgien übersetzen wolle und er dazu seine Unterstützung verlange, anderenfalls sei es mit dem Bündnis vorbei. Deutschland willigte ein, war aber danach mit seinem englischen Partner überhaupt nicht mehr glücklich. Der Engländer war nach der Auswertung ziemlich verlegen. Im Ergebnis war es für den Deutschen und mich bemerkenswert leicht, ihn zu übertölpeln.
Diese Geschichte hat ein Happy End, denn ich gewann die Partie schließlich. Das wäre ohne meine getreue Kettensäge nicht möglich gewesen.
DER BERICHT DEN RASENDEN RUSSEN BETREFFEND
Manchmal kann eine Kettensägendepesche auch zum Bumerang werden. Ich spielte Rußland in einer Partie, in der sich ein Western Triple etablierte, das mich schnell in Stücke gehackt hatte. Konventionelle Methoden zum Aufbrechen dieses Bündnisses funktionierten nicht, so daß ich die Kettensäge auspackte, um den Deutschen zu bearbeiten. Es sah auch so aus, als ob es wirkte, bis...
Der Spielleiter eine Verteilermail schickte, in der er die Spieler daran erinnerte, daß Unhöflichkeit und übertriebene Vehemenz bei Diplomacy keinen Platz hätten und daß jeder, der dagegen verstieß, mit harten Strafen zu rechnen hätte. Er nannte keine Namen, aber der Deutsche und ich wußten, wen er meinte. Ich entschuldigte mich schnell beim Deutschen (obwohl er keine Entschuldigung verlangt hatte) und stellte klar, daß ich ihn nicht kränken wollte. Ich war der Meinung, diese Depesche sei noch im erlaubten Rahmen. Deutschland ließ mich wissen, daß es sich durch unseren temperamentvollen Notenwechsel nicht gekränkt gefühlt habe und betonte, daß es keine Intervention des Spielleiters wünschte. So war alles ruhig.
Leider war der Zauber verpufft. Deutschland informierte mich forsch-fröhlich darüber, daß es einfach mit dem Western Triple weitermachen würde und que sera, sera. Totaler Fehlschlag.
Ich erzähle diese Story als belehrende Geschichte. Mache von der Kettensäge auf eigene Gefahr Gebrauch. Man kann nicht sagen, wer dadurch wirklich gekränkt sein wird, aber die Strafe für diese Kränkung wird meistens die Auslöschung sein (und dabei spreche ich nicht einmal von einer Kränkung des Spielleiters). Kettensägendiplomatie ist wirklich das letzte Mittel eines verzweifelten Dippyspielers. Ich halte im allgemeinen damit zurück, bis ich nichts mehr zu verlieren habe.
KÖNNTE KETTENSÄGENDIPLOMATIE JEMALS EINE GEEIGNETE LANGZEITSTRATEGIE SEIN?
Sie kann es. Ich habe es erlebt.
Ich war der Beobachter einer Partie, die Italien schließlich gewann. Interessanterweise eröffnete Italien mit den Zügen A Ven-Pie, A Rom-Ven und mit Angriffsdrohungen gegen Frankreich und Österreich in seinen Depeschen. Italiens Stil während des ganzen Spiels hindurch war es, den anderen Regenten zu drohen, sie zu verspotten und zu beschwatzen. Es hatte nie eine Allianz, jedenfalls keine, die wir als solche bezeichnen würden. Doch Italien siegte.
In seinem End Of Game-Kommentar erläuterte der italienische Spieler seine Theorie, was das Spielen dieses Landes anbelangt: Niemand will mit Italien in den ersten Jahren so recht etwas zu tun haben. Frankreich ignoriert Italien gerne, solange es keine Armee nach Piemont schickt. Österreich ermutigt es, einen Lepanto zu spielen, aber das ist für gewöhnlich nur die Art des Erzherzogs zu sagen: "Veschwinde für ein paar Jahre, ok?" Die Türkei geht von vorneherein von gegensätzlichen Interessen aus. Jeder möchte Italiens Freundschaftsbeteuerungen, aber keiner lädt es zu seiner Party ein. Als Konsequenz entschied sich der Spieler dazu, Italien wie einen Erpresser agieren zu lassen. Sein modus operandi sollte sein: erst stabben und dann verhandeln.
Merkwürdig, daß das funktionierte, zumindest in diesem Spiel. Italien, mit dem Schwert in der Hand, erzwang einige wichtige Konzessionen von Frankreich und Österreich. Danach machte es sich daran, Österreich gnadenlos zu hintergehen. Als türkische Flotten bedrohlich wurden, verlangte Italien auf der Basis früherer Verhandlungen Hilfe von Frankreich und erhielt sie (mit diesem komischen Franzosen würde ich auch gerne mal spielen - Anm. d. Übers.). Die türkische Bedrohung löste sich in Wohlgefallen auf, woraufhin Italien ohne zu zögern Frankreich stabbte. Und so ging es weiter, bis Italien der Sieger war.
Möglicherweise funktioniert der Kettensägenstil nur mit Italien. Von Beginn an wird die italienische Position als die schwächste angesehen und dementsprechend auch sein diplomatischer Einfluß. Der Italiener fühlt sich daher vom Rattern der Kettensäge eher früher als später in Versuchung geführt. Jeder, der diesen Weg einschlägt ist allemal unerschrockener als ich. Ich habe die Kettensäge immer sparsam und mit Widerwillen eingesetzt. Ich kann mir nicht vorstellen, das eine ganze Partie über durchzuhalten.
EINE LETZTE WARNUNG
Chainsaw Al ist wieder in der Presse. Er wurde vor kurzem seines Postens bei Sunbeam enthoben. Der Grund dafür war, daß das Unternehmen nicht daran geglaubt hatte, daß ein Umbiegekünstler eine Firma leiten könne, die einen Plan für langfristiges neues Wachstum braucht. In dieser Hinsicht erlitt Chainsaw Al mehr oder weniger das gleiche Schicksal wie der trotzige Türke. Seine Taktik rettete die Sache auf kurze Sicht, hat aber langfristig wenig Vertrauen aufkommen lassen.
Es ist auch erwähnenswert, daß Chainsaw Al's Führung bei Sunbeam Gegenstand einer gerichtlichen Untersuchung geworden ist. Niemand kann sagen, wieviele Feinde sich jemand macht, der die Kettensäge benutzt oder wie weit sie gehen würden, um ihre Rache zu bekommen. Laß niemals diese Kettensäge an, es sei denn, Du bist bereit, den Konsequenzen entgegenzutreten.