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Ein Beipackzettel. Über Wirkung und mögliche unerwünschte Wirkungen informiert Sebastian Beer.
von Sebastian Beer (diplomacy@derbaa.net)
Zwei der herausragendsten Eigenschaften, die der typische Diplomat auf sich zu vereinigen scheint, dürften ein Hang zu Analysen und der unbändige Drang, sich anderen mitzuteilen, sein. Nur so ist die wahre Flut an Artikeln, die in den letzten 40 Jahren über dieses Spiel und seine unterschiedlichen Aspekte geschrieben worden sind, zu erklären (oder warum sonst findet man so wenige Artikel über Skat, Junta oder Ostfriesisches Deichwandern im Internet, und so viele zu Diplomacy?). Jeder Spieler, der etwas auf sich hält, betätigt sich offenbar regelmäßig als Autor, Instruktor, Guru, wie auch immer, um seine ganz persönliche Art zu spielen publik zu machen und sich selbst ein Denkmal zu setzen - im günstigsten Fall vielleicht sogar wirklich, um Novizen zu helfend unter die Arme zu greifen. Man kann sich leicht vorstellen, daß diese Artikel nicht nur nicht immer einhellig klingen, sondern einander auch öfter und gerne widersprechen. Meiner Meinung nach sagt dies aber nichts über die Qualität der einzelnen Werke aus - es zeigt einfach nur, daß Diplomacy ein vielfältiges Spiel ist, das man eben auf die eine oder die andere Weise spielen kann.
Unter den Artikeln, die ich bisher gelesen habe, sind ein paar ganz wertvolle, interessante und hilfreiche dabei, aber auch viel Schrott. Es finden sich ellenlange Statistiken, Eröffnungsvorschläge, Spielzüge für Allianzen, Ratschläge, wie man seinen Partner nicht vergrämt, etc. Und alle tun sie so, als hätte der jeweilige Autor nun den ultimativen Zugang zu Diplomacy gefunden, als müßte man nur seinen Angaben folgen, um als "Mr. Diplomacy" in die Annalen des Hobbys einzugehen.
Dazu wäre zunächst einmal zu sagen, dass Menschen, die sich berufen fühlen, anderen zu erzählen, wie Diplomacy denn nun zu spielen sei, meist eher mittelmäßge Spieler sind (ich bilde da sicher nicht die glorreiche Ausnahme). Wie auch beim Schach kann der echte Meister nicht wirklich sagen, warum dieser Zug oder jener in dieser Situation besonders angebracht wäre, warum gerade zu diesem Zeitpunkt oder zu einem anderen das Bündnis gewechselt werden sollte, oder mit wem man nun eine Allianz eingehen sollte.
Diplomacy auf den allgemeinen Nenner gebracht erweist sich im konkreten Spiel meist als absolut überflüssiges Gewäsch. Was hilft es mir wenn ich weiß, daß Frankreich mit Deutschland besser dran ist als mit England, wenn ausgerechnet in meinem Spiel der Deutsche sich als ungeeignet für eine Allianz erweist? Deswegen ist die allgemeine Aussage nicht unbedingt falsch, vielleicht gibt es sogar Statistiken, die unterlegen würden, daß F/D bessere Chancen für Frankreich bringt als F/E, aber da ist immer noch dieser absolut unzuverlässige Nudnik, der in meinem Spiel den Deutschen Kaiser macht, und dem werde ich auch dann nicht vertrauen, wenn mir hundert Artikel nahelegen, es zu tun.
Diplomacy lebt von den Menschen, die es spielen. Jede Partie ist anders, jede Zusammensetzung von Charakteren ist anders, jeder Spieler verfolgt unterschiedliche Strategien und Taktiken, und was man als erfolgreicher Spieler unbedingt braucht, ist ein Gefühl für die Eigenheiten der jeweiligen Partie. Man muß, um ein Zitat aus dem Sport zu mißbrauchen, die Partie lesen können, wissen, wo die guten Spieler sitzen, wer taktische Mängel aufweist, wer gut verhandelt etc., und auf diesen Erkenntnissen dann die einzigartige Strategie für diese ganz spezielle Partie aufbauen.
Das kann dann durchaus z.B. für Rußland gleich zu Beginn ein Angriff auf Deutschland sein, auch wenn sämtliche Kommentatoren meinen, so eine Aktion sei purer Selbstmord. Es sind Szenarien denkbar, in denen mag A War-Sil im Frühling 1901 unabdingbar sein. Vielleicht gibt es ja eine E/D/F Allianz im Westen, und der Osten konnte sich früh genug einigen, geschlossen zu reagieren.
Diplomacy-Artikel helfen dabei. Sie zeigen mögliche Wege auf - nicht Trampelpfade, an die man sich halten muß, um zu gewinnen. Nur jemand, der einerseits eine Partie lesen kann und ungefähr weiß, wie die richtige Strategie darin auszusehen hat, andererseits dann über das nötige Hintergrundwissen an möglichen Taktiken, Verhandlungsmustern und Strategien verfügt, hat die Chance, in einem Spiel gegen erfahrene Mitspieler zu bestehen. Nur er kann im entscheidenden Moment den zündenden Gedanken, die wirksamste Strategie aus dem Ärmel schütteln ("Da hab ich doch mal gelesen..."), flexibel genug und gleichzeitig aber solide reagieren. Diesen Hintergrund an Optionen kann man sich einerseits durch langjährige Erfahrung aneignen - ein dorniger Weg, mit bitteren Niederlagen gepflastert - oder man kann sie sich anlesen. Erfahrungen von anderen Spielern studieren, deren Vorschläge im Hirn irgendwo unter "Diplomacy" ablegen und darauf zurückgreifen, wenn sie gebraucht werden - und nur dann. Das ist der praktische Nutzen von Diplomacy-Artikeln.
Außerdem macht es unendlich Spaß, diese Artikel zu lesen. Sie sind geschrieben von Menschen wie du und ich und deswegen meist angenehm einfach und humorig verfaßt. Zudem haben sie den Vorteil, daß sie fast ausschließlich auf Englisch geschrieben sind und man daher nebenbei sein Englisch ein wenig aufbessert; die nächste WM kommt nämlich bestimmt...