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Wie man eine Variante entwirft |
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von Geoff Bache (geoff@goteborg.utfors.se)
ÜBERSETZT VON TIMO MÜLLER
Diplomacy wird manchmal als "Chamäleon-Spiel" bezeichnet, weil es so leicht ist, Varianten zu entwerfen, entweder indem man auf einer anderen Karte spielt oder indem man die Regeln abändert. Der Beweis findet sich auf der Varianten-Seite des Diplomatic Pouch: Dort sind ungefähr 170 Varianten aufgelistet, die jedes vorstellbare Szenario umfassen. Leider hängen Quantität und Qualität jedoch nicht immer zusammen, und meiner Erfahrung nach ist es nicht einfach, eine Variante zu finden, die sich gut spielt.
Vor einigen Jahren, als ich noch im College war (und daher mehr Freizeit hatte), begann ich, selbst einige Varianten zu entwerfen. Ich beann mit einer Version für sieben Spieler mit Standardregeln namens Heptarchy, und das hat sehr viel Spaß gemacht, auch wenn ich nicht behaupten kann, daß die Variante besonders ausgewogen ist. Ich versuchte, aus meinen Fehlern zu lernen, und entwickelte das schon ehrgeizigere Bretwalda, für neun Spieler mit einigen veränderten Regeln. Ich glaube, daß die Ausgewogenheit hier besser ist, aber durch die zusätzlichen Regeln konnte es noch nicht sehr oft auf den Judges getestet werden.
Hier folgen also nun einige meiner Gedanken darüber, wie man eine gute Variante macht. Ich selbst zähle mich ebenfalls zur Zuhörerschaft. Wenn du also selbst Varianten entwirfst und dir meine Kritikpunkte treffend vorkommen, behalte immer in Erinnerung, daß meine eigenen Varianten nicht immer den Regeln folgen, die ich hier aufschreibe...
Ausgewogenheit - taktisch und diplomatisch
Die meisten Varianten-Designer setzen sich von Anfang an die Ausgewogenheit zum Ziel. Dem zugrunde liegt die Idee, daß jede Macht eine angemessene Erfolgschance haben sollte, sofern alle Spieler einigermaßen kompetent sind. Die Standard-Karte wird manchmal als Musterbeispiel für Ausgewogenheit bezeichnet, manchmal dagegen als hoffnungslos unfair kritisiert. Variantendesigner tendieren oft zu Letzterem, und wollen natürlich ihre eigenen Karten als ausgewogener darstellen.
Es ist aber meine Überzeugung, daß es zwei verschiedene Arten von Ausgewogenheit gibt: taktische und diplomatische Ausgewogenheit. Weiterhin bin ich überzeugt, daß Variantendesigner oft alle Energie dafür verbrauchen, erstere zu erreichen, obwohl letztere eigentlich wichtiger ist. So habe ich es jedenfalls gemacht.
Taktische Ausgewogenheit
Sie bezeichnet meiner Definition nach, wie fair - von einem rein taktischen Gesichtspunkt aus - die Startpositionen verteilt sind. Alle Mächte sollten eine faire Chance haben, neutrale VZ zu erhalten, und gleich zu Beginn zu wachsen. Keine Macht sollte so verletzlich sein, daß sie hinweggefegt werden kann, bevor das Spiel richtig in die Gänge gekommen ist, und umgekehrt sollte keine Macht völlig unverletzlich sein. Völlige taktische Ausgewogenheit ist folglich nur auf einem symmetrischen, abstrakten Spielfeld möglich. Die relative taktische Ausgewogenheit einer Variante kann ungefähr abgeschätzt werden, wenn man die jeweilige "Erfolgs-Statistik" jeder Macht über eine große Zahl von Spielen hinweg betrachet.
Meiner Meinung nach ist Standard-Diplomacy taktisch nicht besonders ausgewogen. Zum Beispiel bereitet die direkte Nachbarschaft von Venedig und Triest große Probleme für Italien und Österreich, während Frankreichs Position relativ sicher ist, zumal es fast immer zwei Aufbauten bekommt. Die Erfolgsstatistik zeigt dies: Frankreich liegt weit vorne, während Italien und Österreich hinterherhinken.
Trotzdem ist Standard-Diplomacy aber außerordentlich beliebt, und es scheint zu funktionieren. Warum?
Diplomatische Ausgewogenheit
Bei der Beurteilung eines Spielplans gehe ich von folgender Situation aus. Ich nehme ein Team voller erfahrener Spieler, die einander nicht kennen und alle versuchen, das beste für sich herauszuholen. Wen wird nun jede Macht wahrscheinlich angreifen, und wen wird sie als Verbündeten wollen? Ein Spielplan wird als diplomatisch ausgewogen betrachtet, wenn es nicht für jede Macht eine klare, unumstößliche "beste Wahl" gibt. Es wird dagegen als diplomatisch unausgewogen betrachtet, wenn in Spielen mit erfahrenen Spielern immer wieder dieselben Bündnisse auftreten.
Meiner Ansicht ist die diplomatische Ausgewogenheit im Standard-Diplomacy extrem gut. Es gibt keine einzige Macht, über die man sagen könnte, "X sollte immer Y angreifen," und dabei zeigen könnte, daß diese Option immer einem Angriff auf Z überlegen ist. Es ist einfach, allgemeine Optionen aufzustellen (z.B. Deutschland sollte nicht Österreich angreifen, Österreich sollte nicht Italien angreifen), aber für jede Macht gibt es mindestens zwei sinnvolle Möglichkeiten, was die Wahl des ersten Gegners angeht.
In viel zu viele Varianten fehlt jedoch meiner Meinung nach diese diplomatische Ausgewogenheit, und es ist zu leicht, "beste Strategien" für zumindest einige der Mächte herauszufinden. Eine Variante, die diplomatisch unausgewogen ist, wird bald diplomatisch uninteressant werden, da sie - wenn erfahrene Spieler beteiligt sind - zu einer gigantischen taktischen Auseinandersetzung zwischen festgelegten Bündnissen wird, und Abwechslung davon nur durch die Beteiligung weniger erfahrener Spieler erreicht werden kann, da diese gelegentlich suboptimale Strategien auswählen.
Eine taktisch unausgewogene Variante dagegen kann wachsen und gedeihen, wie dies Standard-Diplomacy getan hat, da es in dem Spiel um Diplomatie geht. Taktische Unausgewogenheiten werden ausgeglichen, da jede Macht, die eine stärkere taktische Position hat, durch Verhandlungen und Zusammenarbeit ihrer Nachbarn unter Kontrolle gehalten wird. Mit anderen Worten, andere Mächte behalten die starken im Auge und kontrollieren ihr Wachstum. Taktische Unausgewogenheit ist in einem NoPress-Spiel störender, aber sogar hier gibt es ein diplomatisches Korrektiv, da es im Interesse der schwächeren Mächte liegt, die Ausdehnung der stärkeren zu kontrollieren.
Daraus folgen nun einige Überlegungen, wie man diplomatische Ausgewogenheit erreichen kann. Ich habe taktische Themen wie "vermeide benachbarte Heimat-VZ unterschiedlicher Mächte" nicht berücksichtigt, obwohl diese Maßgabe durchaus sinnvoll ist. Das liegt daran, daß ich taktische Ausgewogenheit nicht für das Hauptproblem halte.
Wie man diplomatische Ausgewogenheit erreicht
Ich glaube, es gibt hier ein Kernprinzip, das unbedingt befolgt werden muß, wenn ein Spiel diplomatisch ausgewogen sein soll:
1. Jede Macht muß mindestens drei Nachbarn in Angriffsreichweite haben.
Das trifft auf Standard-Diplomacy zu. Es trifft nicht auf meine Varianten Heptarchy und Bretwalda zu, obwohl es in letzterer auf alle Mächte außer einer zutrifft. Es trifft ebenfalls nicht zu auf die meisten der Varianten, die ich bisher gesehen habe. Ich kann tatsächlich keine einzige nennen, die ungefähr der Größe von Standard-Diplomacy entspricht, auf die es zutritt (was natürlich nicht heißt, daß es keine gäbe). Warum ist das so wichtig?
Stellen wir uns erstens eine Macht vor, die einen Nachbarn hat. Diese Macht hat nur eine wirkliche Option, nämlich einen Angriff auf diesen Nachbarn. Die anderen Mächte wissen das, auch diejenige, die wir uns hier vorstellen, und schnell bilden sich vorhersagbare Abläufe heraus. Das führt dazu, dass das Spiel diplomatisch sehr unausgewogen ist.
Stellen wir uns zweitens eine Macht vor, die zwei Nachbarn hat. So eine Macht liegt meist in einer Ecke der Karte. Das Problem hier besteht darin, dass es normalerweise im Interesse der beiden Nachbarn liegt, sich gegen die Eckmacht zusammenzuschließen, um sie zu vernichten, und diese Option ist weitaus besser als ein Bündnis mit der Eckmacht oder gar Neutralität. Wenn die Eckmacht irgendwelche Fortschritte gegen den anderen Nachbarn macht, wird sie bald unverwundbar werden, und man erreicht das Mittelspiel wahrscheinlich mit einer starken Macht im Rücken, deren einzig sinnvolles Ziel man selbst ist. Abgesehen davon ist es oft einfach, die Eckmacht anzugreifen und zu eliminieren, da es keine anderen nahegelegenen Länder gibt, die im Interesse des Opfers eingreifen könnten. Im Gegensatz dazu gibt es im Standard-Diplomacy in Situationen, in denen zwei Mächte eine dritte angreifen, fast immer jemand, der starkes Interesse daran hat, der dritten Macht das Überleben zu sichern.
Dies hat wichtige Auswirkungen. Eine Karte zu entwerfen, auf der jeder drei Nachbarn hat, ist viel schwieriger als man meinen könnte, vor allem in "realistischen" Szenarien mit wirklichen Landkarten und/oder Ländern. Solche Szenarien haben die ärgerliche Angewohnheit, nicht mit dem Varianten-Designer zu kooperieren.
Der amerikanische Kontinent zum Beispiel hat eine lange, dünne Form. Das macht es sehr schwierig, die Mächte in einem sinnvollem Zusammenhang zu arrangieren, besonders wenn man versucht, die tatsächlichen historischen "Mächte" wenigstens entfernt nachzubilden. Ich habe viel Zeit damit verbracht, Varianten auf den britischen Inseln zu entwerfen, und dabei trat für gewöhnlich das Problem auf, daß Nordengland und Schottland ebenfalls diese lange, dünne Form haben und daß die nördlichste Macht (Schottland in Heptarchy, Pictland in Bretwalda) dadurch auf höchstens zwei Nachbarn kamen. Mit dem Ergebnis, daß diese Mächte normalerweise einen schlechten Stand hatten, sofern ihre Nachbarn fähige Spieler waren.
In der Tat scheint Europa, dessen Küsten stark zerklüftet sind und das ungefähr so breit wie lang ist, für eine diplomatisch ausgewogene Diplomacy-Karte besonders geeignet zu sein. Leider neigen aber sogar Varianten, die in Europa spielen, dazu, diesen Vorteil zu opfern. Ein typisches Problem ist Spanien als Großmacht, dessen einziger wirklicher Nachbar Frankreich ist und das daher normalerweise für eine starke Unausgewogenheit sorgt. Wenn Italien keine Macht ist, kann auch die Türkei leicht zum Problem werden (z.B. in jeder realistischen Variante, die zwischen 476 und 1861 spielt).
2. Überschätze nicht die Bedeutung weit entfernter Einheiten für die diplomatischer Ausgewogenheit.
Es ist ein gewohntes Bild, daß in Varianten eine große Macht ein zusätzliches Territorium erhält, das weit von ihrem Heimatgebiet entfernt liegt, um Beziehungen zwischen zwei Mächten zu fördern, die sich sonst nicht viel zu sagen hätten. Zum Beispiel bekommt Großbritannien eine Flotte in Ägypten oder Österreich eine Armee in Belgien ("Austrian Netherlands").
Das ist sicherlich ganz lustig, und auch nicht eigentlich schlecht, aber es sollte nicht als Möglichkeit betrachtet werden, etwas an der diplomatischen Ausgewogenheit auf dem Spielbrett zu ändern. Wenn ich drei Zentren in Großbritannien habe und eines in Ägypten, wird meine Strategie sich darauf konzentrieren, was in Großbritannien und seiner unmittelbaren Umgebung passiert, und die Ereignisse in Ägypten sind nur von untergeordneter Wichtigkeit, wenn überhaupt.
Wie ich schon angesprochen habe, ist Spanien typisch für das Problem, für eine Macht drei Nachbarn zu finden. Wenn man nun eine britische Flotte in Gibraltar plaziert, ist das keine wirkliche Lösung des Problems. Es beeinflußt natürlich die taktische Ausgewogenheit, aber diplomatisch ist es ein Nebenkriegsschauplatz: Kein erfahrener Brite wird seine Strategie um diese Flotte herum entwerfen.
Dies ändert sich natürlich, wenn die Möglichkeit besteht, daß die Heimat-Einheiten und die weit entfernte Einheit aktiv gegen ein bestimmtes Angriffsziel zusammenarbeiten könne, z.B. eine britische Flotte in Gibraltar auf einer Karte, auf der Spanien nicht existiert. Hier ist sie eine starke Unterstützung für einen Angriff auf Frankreich (das sowieso ein Nachbar Großbritanniens ist), und daher trifft die eben geführte Argumentation in diesem Fall nicht zu.
3. Lerne aus der Geschichte, aber halte dich nicht sklavisch an sie.
Es gibt vier Kategorien "realistischer" Karten.
1. Historisch realistisch: wirkliche Orte und ein historisches Szenario
2. Geographisch realistisch: wirkliche Orte, aber kein historisches Szenario
3. Fiktional realistisch: das Szenario imitiert Ereignisse in einer fiktionalen Welt (typischerweise der Science Fiction entnommen)
4. Völlig abstrakt
Natürlich gibt es unterschiedliche Vorlieben, aber ich glaube, daß die meisten Spieler Varianten aus den ersten beiden Kategorien bevorzugen. Diese ermöglichen Rollenspiele und machen es leichter, die eigene Persönlichkeit innerhalb des Spiels auszuschmücken, ganz abgesehen von der Möglichkeit, die Geschichte neu zu schreiben. Die dritte Kategorie bleibt natürlich Fans vorbehalten, die das jeweilige fiktionale Werk kennen, und die vierte finde ich persönlich zu leblos und daher uninteressant.
Man sollte hinzufügen, daß abstrakte Varianten theoretisch die besten sind (dort sind sogar symmetrische, perfekt ausgewogene Varianten möglich), aber sie tun sich sehr schwer, allgemein Interesse zu erregen. Warum sollte ich dieses abstrakte, viereckige Feld auf dem Spielplan erobern wollen, das dort als VZ ausgewiesen ist? Was kann ich meinem Nachbarn sagen, um ihn zu einem Bündnis zu bewegen, wenn die Ausgangslage des anderen Nachbarn mit meiner identisch ist?
Gehen wir also davon aus, daß Varianten, die historische einigermaßen wirklichkeitsgetreut sind, die interessantesten sind. Normalerweise kann man aus dem lernen, was damals wirklich passiert ist, also lohnt es sich durchaus, ein wenig nachzulesen und herauszufinden, wie die Dinge verlaufen sind und darüber nachzudenken, wie sie anders hätten sein können. Eine historisch komplett authentische Variante ist jedoch meist keine gute Idee. Erstens steckt sehr viel Arbeit dahinter, und mit der Karte stimmt immer irgendetwas nicht (vor allem, wenn man, wie ich damals, Britannien im Frühmittelalter aussucht, von dem es wenige Quellen gibt und noch weniger Städte, die groß genug sind, um als VZ bezeichnet zu werden). Zweitens hat die Geschichte die ärgerliche Angewohnheit, nicht fair zu sein, jedenfalls gewiß nicht so fair, wie wir es hier benötigen, wo jede Laune eines einzelnen Herrschers weitreichende Auswirkungen haben kann.
Wenn die Geschichte also nich kooperieren will, muß man sie verändern, damit sie in die jeweilige Variante paßt. Das hat sogar Alan Calhamer getan, indem er Bulgarien und Griechenland der türkischen Hoheit entzogen hat, entgegen den tatsächlichen Verhältnissen im Jahre 1901. Man kann in dieser Richtung sehr weit gehen und trotzdem noch ein einigermaßen realistisches Szenario haben. Das ist besonders wichtig, wenn es daran geht, historische Mächte in "Großmächte" und "neutrale VZ" aufzuteilen, was aus historischer Sicht oft eine schwierige Aufgabe ist. Mein Rat ist, einfach rücksichtslos zu sein und zu schummeln. Die meisten Leute wissen sowieso nicht so genau, was damals passiert ist...
Schlußfolgerung
Ich denke, es wäre wirklich gut für das Hobby, wenn es eine größere Auswahl an gut spielbaren, diplomatisch ausgewogenen Varianten gäbe. Meiner Ansicht nach ist der Weg dorthin relativ einfach: man muß lediglich die Nachbarn der einzelnen Mächte festlegen, bevor man mit dem Entwurf der Karte beginnt, und dabei alles versuchen, um jeder Macht mindestens drei Nachbarn zu verschaffen (wobei weit entfernte Einheiten nicht zählen). Wenn man das einmal geschafft hat, kann man sich mit den historischen Gegebenheiten vertraut machen, sie sinnvoll auf die Karte anwenden, und auf ein gewisses Maß an taktischer Ausgewogenheit hinarbeiten. Dann bleibt nur noch, ein paar Spieler zu finden und Diplomatie/Diplomacy zu genießen.