Die tatz. Ausgabe 01/2006.
Arena
Master fallen nicht vom Himmel
Ludomaniacs Master: End-of-Game-Kommentar von Timo Müller, England
Die erste Phase der
Partie war im Westen durch die Erfahrungen geprägt, die Andreas (I)
und ich in der kurz vorher zuendegegangenen Partie 666 gemacht hatten.
Dort hatten sich alle Teilnehmer lange mißtrauisch belagert und es
hatte bis zum Endgame kein einziges Bündnis gegeben, das über mehrere
Jahre hielt. Für uns beide war klar, daß wir mit einem frühen, festen
Bündnis den Sieg damals unter uns ausgemacht hätten. In der 751 habe
ich also ein schnelles Bündns EF(I) oder ED(I) angestrebt und das
meinen beiden Nachbarn, Dietmar (F) und Frank (D), auch gleich
mitgeteilt. Dietmar ist überhaupt nicht darauf eingegangen, sondern
wollte im ersten Jahr unverbindlich-abwartend ziehen; Frank hat mir
prinzipiell zugestimmt, ohne aber konkrete Vorschläge zu machen. Der
Anstoß ging schließlich von Andreas aus, der mir und Frank schon vor
dem ersten Zug ein klares Angebot machte: Er würde nach Pie ziehen,
wir sollten nach Eng bzw. Bur ziehen. Wenn wir nicht mitmachen würden,
würde er sich wieder zurückziehen und sich nach Osten orientieren.
Nach Rücksprache mit Frank habe ich mich rasch fürs Mitmachen
entschieden. Dietmar war von dem Zug sehr überrascht und natürlich
nicht besonders angetan; seine Unterstellung aber, wir würden hier
„kein Diplomacy“ spielen, war nicht gerechtfertigt: schließlich hatte
ich ihm mehrmals deutlich erklärt, daß ich ein schnelles Bündnis
suchte; da hätte er damit rechnen müssen, daß das auch für ein ED oder
EDI galt.
Die ersten vier
Spieljahre standen ganz im Zeichen der beiden großen Bündnisse, die
sich herausgebildet hatten. Im Westen zogen wir das EDI konsequent
durch, weil es für uns alle vorteilhafter war, Frankreich zu
eliminieren, bevor wir einander angriffen. Im Osten bildete sich
derweil ein RÖ heraus, das ebenso konsequent Georg (T) rauswarf. Für
die Partie insgesamt war das vor allem ein PR-Coup, weil Georg bis
heute seinen letzten Platz nicht verwunden hat und im Forum mit seinen
teils beleidigten, teils ironischen Einlassungen kräftig Werbung für
uns gemacht hat. *g* Gleichzeitig bedeutete es für uns im Westen, daß
unserem Dreibund ein ebenbürtiger Gegner erwuchs. Andreas und ich
hatten von Anfang an geplant, daß Frank unser nächstes Angriffsziel
sein sollte, doch das starke RÖ machte uns einen Strich durch die
Rechnung. Ich mußte mich im Herbst 1902 zwischen Frank und Tobias (R)
entscheiden und schlug mich zunächst auf Franks Seite, was mir eine
Unterstützung nach Swe und langanhaltendes russisches Mißtrauen
einbrachte. Überraschenderweise weigerte sich Torsten (Ö) standhaft,
an dem anti-russischen Bündnis teilzunehmen, obwohl Tobias sich ihm
gegenüber völlig entblößt hatte. Seine fehlende Flexibilität sollte
Torsten bald zum Verhängnis werden: zu Beginn des Mittelspiels hatte
er die Schlüsselposition am Brett inne, aber da er sich nicht vom RÖ
lösen konnte, stärkte er sowohl seinen kleineren Bündnispartner als
auch das Westbündnis so nachhaltig, daß er schließlich zwischen beiden
aufgerieben wurde.
Bis 1905 war meine
Position sehr komfortabel. Ich konnte mir die Bündnispartner
aussuchen, hatte Zugewinne in Frankreich ohne eigenes Risiko sicher,
und der einzige Nachbar, der mir etwas anhaben konnte (Frank), war für
alle anderen Spieler das logische nächste Angriffsziel. Nachdem wir
mit der Ausschaltung Frankreichs und der Türkei ins Mittelspiel
übergegangen waren, waren Veränderungen für mich allerdings
unvermeidlich. Um weiter zu wachsen, mußte ich entweder Torsten für
ein anti-russisches Bündnis gewinnen oder mit Andreas Deutschland
angreifen. Als von Torsten nichts Produktives kam, planten wir den
Stab an Frank für F1905. Da ein angeschlagenes, aber noch
handlungsfähiges Deutschland für mich ein größeres Hindernis gewesen
wäre als für Andreas und Tobias, entschloß mich mich, letzteren in den
Stab einzubeziehen. Das ging allerdings nach hinten los: Tobias griff
stattdessen mich an. Frank ergriff seine letzte Chance und bot Andreas
und mir für H1905 eine Neuauflage des EDI an, wobei er bereit war,
sich uns gegenüber völlig zu entblößen. Andreas überließ die
endgültige Entscheidung mir, und sie war eine der schwierigsten meines
Diplomacy-Lebens. Doch letztendlich lohnte sich das EDI für mich nicht
mehr: ich hätte Frank ein VZ abtreten müssen und wäre ohne
mittelfristige Expansionschancen bei fünf bis sechs VZ stehengeblieben.
Wir stabbten Frank also nochmals und warfen ihn damit quasi aus dem
Spiel. Ich hatte drei Aufbauten und war stärkste Macht am Brett.
Nun kam Bewegung in
die Bündnisstruktur. Nachdem ich Tobias an der Nordfront solange in
Schach halten konnte, bis meine Verstärkungen eingetroffen waren,
änderte er seine Strategie und stabbte im H1906 Torsten, womit er das
(lange) Endgame einleitete. Sein Angebot eines langfristigen
Zweierdraw-Bündnisses stellte mich vor die letzte große Entscheidung
des Spiels, die Wahl nämlich zwischen ihm und Andreas als Partner für
das Siegbündnis. Da beide von mir abhängig waren, konnte ich die
Entscheidung noch um ein Jahr verschieben und meine Ausgangsposition
verbessern. Für Tobias sprach, daß wir zusammen schon sehr stark waren
und das Spiel schnell beenden würden. Für Andreas sprach, daß er mir
in einem Bündnis weder in West- noch in Mitteleuropa irgendwie
gefährlich werden konnte, bei einem ER aber meinen Vormarsch viel
stärker behindern würde als den russischen. Das gab letztendlich den
Ausschlag: Mit Tobias wäre das Spiel zwar schneller zuendegegangen,
aber die Gefahr eines russischen Solos wäre sehr hoch gewesen.
Nachdem ich im F1908
also Tobias gestabbt hatte, war die Partie gelaufen. Tobias versuchte
zwar unermüdlich, uns mit Versprechungen und Drohungen umzustimmen,
doch er verlegte sich dabei auf den falschen Adressaten, nämlich
Andreas. Für den war ein Angriff auf mich aber rein taktisch völlig
unsinnig, während ich wiederum durch Tobias’ ständigen Mailkontakt mit
Andreas nicht mehr das nötige Vertrauen in ihn hatte, um einen
Bündniswechsel noch ernsthaft zu erwägen. Andreas und ich machten uns
daran, Europa stab-sicher aufzuteilen, was sich zunehmend als
konfliktreiches Unterfangen herausstellte. Wir suchten beide nach der
Lücke für das 18. VZ und hielten uns dabei oft gegenseitig auf; zudem
war Andreas dienstlich viel unterwegs und gab dann Züge ab, die den
abgesprochenen nur halb entsprachen, worauf ich wiederum ungehalten
reagierte. Die Spannungen brachen dann aus, als wir unsere Absprachen
bezüglich des Spielendes unterschiedlich interpretierten: Ich war von
einem Spielende 1918 ausgegangen, Andreas aber von 1920, wodurch er
noch eine Chance auf das 18. VZ gehabt hätte. Nach einigen
Diskussionen entschieden wir uns für einen Kompromiß und spielten bis
1920 weiter, wobei wir den Spielstand von 1918 beibehielten. So fand
die Partie schließlich ein würdiges Ende, mit dem wir beide zufrieden
sein konnten. Letztlich hat sich die Erkenntnis bestätigt, mit der wir
in das Spiel gegangen sind: Wer in einer so hochklassig besetzten
Partie ein frühes, konsequent durchgehaltenes Bündnis etablieren kann,
macht den Sieg unter sich aus.